Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
zückte
einen Geldschein, mit dem er Richtung Tresen winkte, bevor er ihn auf den Tisch
segeln ließ. Dann verschwand er.
Ich dagegen
blieb noch eine ganze Weile sitzen und würfelte Zucker.
37
Ich war eben auf dem Weg zum Parkhaus
des Flughafens, als sich Katinka meldete. Ob ich sie abholen könne.
»Schon fertig
mit der Untersuchung?«
»Sieht so
aus«, antwortete sie kurz angebunden.
Ich brauchte
eine gute Viertelstunde. Auf den Verkehr unterwegs achtete ich kaum. Meine Gedanken
kreisten um Brose, den Mathematiker, der aussah wie ein Discjockey. Den Sporthasser,
der professionell mit Sportwetten zu tun hatte. Den Vielflieger, der dreimal frischer
wirkte als ich. Was war das bloß für ein verrückter Typ?
Vor der
Sportklinik der nächste Parksilo. Schummrig und unheimlich wie eh und je, auch wenn
sich diesmal keine Graffitisprayer darin herumtrieben. Ich zögerte einen Moment,
als ich den Smart zurückließ. Er war so klein. So verletzlich.
Angenommen,
ein gedopter Gewichtheber würde mit ihm würfeln: Auf welcher Seite käme das Autochen
dann zu liegen?
Eine Frage,
die ich Brose nächstes Mal unbedingt stellen musste. Aber jetzt zu Katinka. Sie
saß in Dr. Karsts Wartezimmer und blätterte in einer Laufzeitschrift. Ihrem Blick
nach zu urteilen, war sie mit der verkürzten Sprechstunde überhaupt nicht einverstanden.
»Was ist
los?«, fragte ich. »Musste der Doc zum Arzt?«
»Ein Notfall,
sagt er.« Sie warf die Zeitschrift auf den Stapel zurück und stand auf. »Gehen wir?«
»Tut mir
sehr leid, Frau Glück«, meldete sich Karsts Mitarbeiterin, die am Empfang saß, zu
Wort. »Es ist sonst nicht Dr. Karsts Art, aber er sah ziemlich besorgt aus. Ich
glaube, es ging um seine Tochter.«
»Um Alice?«
Die Sprechstundenhilfe
nickte.
»Na dann.«
Katinka wandte sich zum Gehen. Als sie sah, dass ich mich nicht rührte, versetzte
sie mir einen Stoß. »Was gibt’s, Max? Willst du hier Wurzeln schlagen?«
Ich kratzte
mich am Kopf. »Karsts Tochter heißt Alice?«
»Die ältere,
ja.«
»Bist du
sicher?«
Sie rollte
mit den Augen. »Alles klar mit dir? Rede ich Chinesisch, oder was?«
Ich ging
ins Wartezimmer zurück und wies auf das Urlaubsfoto, das Dr. Karst im Kreise seiner
Familie zeigte. »Das größere der beiden Mädchen hier heißt Alice?«
Katinka
und die Sprechstundenhilfe nickten synchron. Ich spürte ihre auffordernden Blicke,
doch mir fiel keine Erklärung ein. Karsts älteste Tochter und Tietjes Badezimmerspiegel.
Zweimal Alice. War das Zufall? So häufig gab es den Namen nicht. Berlin und Frankfurt,
der Privatermittler und der Sportarzt. Wie passte das zusammen?
Und was
hatte Brose noch mal über den Zufall gesagt? Alles Quatsch, Herr Koller! Das Resultat
physikalischer Prozesse, absolut logisch und folgerichtig.
»Was ist
nun, Max?« Katinka wurde ungeduldig. »Können wir?«
»Moment.
Wie war das eben mit Karsts Notfall? Erklär es mir, und zwar genau.«
Sie seufzte.
»Warum das denn? Ich saß vielleicht eine halbe Stunde bei ihm, als er einen Anruf
bekam. Erst wollte er ihn wegdrücken, nahm ihn dann aber doch an.«
»Wer war
das?«
»Keine Ahnung.
Er ging ins Nebenzimmer, um zu telefonieren. Ich habe kein Wort verstanden. Dann
kam er zurück und meinte, er müsse sofort los. Erklärungen später. Ich war ziemlich
sauer.«
»Und er?
Wie wirkte er?«
Katinka
wechselte einen Blick mit der Sprechstundenhilfe. »Bisschen durch den Wind, würde
ich sagen. Fahrig. Er verabschiedete sich nicht einmal von mir.«
Die andere
Frau nickte. »Das stimmt. Deshalb denke ich auch, dass es sich um eine private Angelegenheit
handelte. Abgesehen von der Tatsache, dass Dr. Karst überhaupt keinen Notdienst
hat.«
»Verstehe.«
Ich überlegte. Karsts Tochter war vielleicht neun Jahre alt und ein hübsches Mädchen.
Kein Wunder, bei den Eltern. Und Tietje, der einsame Berliner Wolf, hatte ein Herz
hinter den Namen auf dem Spiegel gemalt. Verdammt, verdammt, mir kamen da ein paar
Gedanken, die mir überhaupt nicht gefielen …
»Na gut«,
sagte ich mit forcierter Fröhlichkeit. »Es wird sich alles klären. Kommen wir halt
nächstes Mal wieder.«
»Schönes
Wochenende«, gab uns die Sprechstundenhilfe mit auf den Weg. »Und entschuldigen
Sie noch mal, Frau Glück.«
Im Aufzug
schwieg ich. Dritter Stock, zweiter Stock, erster. Katinka warf mir misstrauische
Blicke zu.
»Es wird
sich alles klären?«, sagte sie schließlich. »Komisch, dein Gesicht sagt das Gegenteil.
Was ist
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