Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
auskennen.
Nein? Das Prinzip ist ja denkbar einfach. Sie setzen auf Sieg oder Niederlage, auf
Team A oder Team B – und bekommen im Erfolgsfall ein Vielfaches Ihres Einsatzes.
Wie viel genau?«
»Hängt von
der Quote ab.«
»Korrekt.
Und wer legt die fest? Ihr Buchmacher. Quoten verändern sich allerdings. Wenn Bayern
München nächsten Monat gegen einen Drittligisten antritt, wird die Quote für einen
Sieg der Bayern ziemlich mies sein. Für eine Niederlage aber verdammt gut. Sagen
wir: drei zu eins. Bei einem Einsatz von 1000 Euro wären das 3000 Euro. So. Sie
setzen die 1000 Euro. Dann grassiert ein schlimmer Virus im Trainingslager der Bayern,
und plötzlich fallen sämtliche Topspieler aus. Für das Spiel gegen den Drittligaklub
kommen halbkranke Ersatzspieler, Amateure und 16-Jährige zum Einsatz. Was heißt
das für die Quote? Sie ändert sich radikal. Plötzlich lautet sie drei zu eins für
einen Sieg der Bayern! Weil mit ihm kaum noch zu rechnen ist. Und was machen Sie?
Setzen 1000 Euro auf Sieg. Damit gewinnen Sie auf jeden Fall. Verstanden?«
Ich starrte
ihn an. »Fast.«
Brose klatschte
sich auf die Schenkel vor Vergnügen. »Ist doch klar! Ob Sieg oder Niederlage, Sie
gewinnen mit einer Quote von drei zu eins. Für Ihre 1000 Euro Einsatz erhalten Sie
3000 zurück. Die anderen 1000 verlieren Sie zwar, unterm Strich aber bleibt ein
Gewinn von 1000 Euro. Schick, was?«
»Und bei
Unentschieden?«
»Es ist
ein Pokalspiel. Sieg oder Niederlage, nichts dazwischen.«
»Okay, ich
hab’s kapiert. Aber das Ganze ist doch ein arg konstruierter Fall. Wann verkehrt
sich schon mal eine Quote in ihr Gegenteil?«
»Stimmt«,
nickte Brose, nun wieder ernst. »Der Fall ist hemmungslos überkonstruiert. Trotzdem
gibt es die Möglichkeit, garantiert zu gewinnen. Ganz real und legal. Soll ich es
Ihnen stecken? Es ist kein Geheimnis.«
»Bitte.«
»Auch wenn
sich Quoten selten in ihr Gegenteil verkehren, so schwanken sie doch immer. Und
weil es zu wichtigen Ereignissen Hunderte und Tausende Buchmacher weltweit gibt,
schwanken sie auf vielfältige Weise. Bleiben wir beim Fußball. Wer wird Europameister?
Die Spanier, die Deutschen, die Holländer? Die Quoten sind nicht nur unterschiedlich,
sie ändern sich auch noch von Tag zu Tag. Manchmal stündlich. Und genau das ist
Ihre Chance. Sie müssen die Szene beobachten. Sollte Buchmacher 1, aus welchen Gründen
auch immer, die Quote für Team A senken, Buchmacher 2 aber nicht, haben Sie die
Möglichkeit, aus dieser Diskrepanz einen Vorteil zu ziehen. Sie setzen bei Buchmacher
2 auf Team A, weil dort die Quote noch hoch ist, und bei Buchmacher 1 auf Team B,
weil dessen Quote im Steigen ist. Natürlich nur, falls sich die Differenz finanziell
lohnt. Aber genau dies lässt sich in einer ziemlich schlichten mathematischen Formel
ausdrücken.« Er hob seine Tasse. »That’s all. Sie gewinnen unter Garantie.«
»Echt?«,
sagte ich automatisch.
Er nickte.
»Aber …
Ist das nicht auch ein ziemlich unwahrscheinlicher Fall?«
»Ganz im
Gegenteil. Dass Buchmacher unterschiedlich reagieren, ist sogar der Normalzustand.
In der Regel fallen die Differenzen nicht sehr hoch aus. Aber sobald sie es tun,
müssen Sie zuschlagen, und zwar sofort. Reaktionsschnelligkeit ist Ihr Kapital,
und deshalb brauchen Sie die entsprechende Software. Programme, die den Markt beobachten
und bei Erfüllung bestimmter Parameter in Aktion treten. Wenn die Programme gut
sind, müssen Sie nur noch auf ein Computersignal hin Ihre Überweisungen tätigen.«
»Und solche
Programme entwickeln Sie?«
Er grinste
genießerisch.
»Aber was
sagen die Buchmacher dazu? Die verlieren ja auf der ganzen Linie!«
»Nein, die
nicht. Nicht die Buchmacher. Die anderen Spieler weltweit, die zahlen die Zeche.
Aber das tun sie so oder so. Die Buchmacher haben natürlich ihrerseits Programme,
die ihnen verraten, dass sie gefälligst ihre Quote angleichen sollen, weil es die
Konkurrenz auch getan hat. Es ist ein Kampf der Systeme, wenn Sie so wollen. Auf
welcher Seite Sie auch immer stehen, Sie müssen investieren. In Know-how. Manchmal
auch in die Akteure. Aber es lohnt sich.«
»Verstehe«,
murmelte ich. Wann hatte ich mich zuletzt so erschlagen gefühlt? Es musste an der
Uni gewesen sein, vor ewigen Zeiten.
»Schön«,
sagte Brose fröhlich und stand auf. »Nehmen Sie einen Zuckerwürfel mit, dann behält
es sich besser. Aber jetzt muss ich. Wenn Sie etwas über Tietje erfahren, lassen
Sie es mich wissen, ja?«
Er
Weitere Kostenlose Bücher