Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
umhüllte üppige Blumenpracht ein Fertigholzhäuschen. An einem
Mast flatterte eine Deutschlandfahne im Wind.
Als ich
um die Ecke lugte, hörte ich eine Stimme. Sie klang laut und erregt und drang trotz
geschlossener Fenster und Türen zu uns nach draußen.
»Niemals!«,
rief ein Mann im Inneren des Hauses. »Es reicht, verstehst du? Es reicht.«
»Andreas«,
flüsterte Katinka in meinem Rücken. Ich nickte.
Vorsichtig
betraten wir die Terrasse. Zum Garten hin hatte die Villa eine breite Glasfront,
hinter der ein großer, kahler Raum sichtbar wurde. Zwei Männer standen in dem Raum,
gestikulierten und stritten sich lauthals: Karst und Brose. Offensichtlich kannte
man sich.
Aber das
war nicht das Einzige, was mir auffiel.
»Was ist
denn hier los?«, zischte Katinka. »Will der ausziehen?«
Eine berechtigte
Frage. Wenn ich den Raum eben als kahl bezeichnet hatte, so war das nicht ganz korrekt.
Bei »kahl« könnte es sich theoretisch um ein Einrichtungsmotto handeln, vorzugsweise
in modernen Architektenhäusern. Ein Bistrotisch, ein Bild, zwei Sessel – fertig
ist das Wohnzimmer in all seiner Apartheit. Nicht so hier. Der Raum vor uns wirkte
regelrecht geplündert. Es gab nur zwei Stühle, eine Stehlampe und eine Kommode;
statt eines Tischs stand eine große Holzkiste mitten im Raum. An der Wand hinter
Brose zeigte eine helle Fläche an, wo einmal ein Bild gehangen hatte. Von der Decke
baumelte eine Glühbirne.
»Komische
Art, sich einzurichten«, sagte ich leise.
»Ich verstehe
das nicht. Und wo sind Miriam und die Kinder?«
Während
wir uns nach Kräften wunderten, beendete Brose einen längeren Monolog. Er sprach
weniger laut als Karst, um dafür auf und ab zu gehen und heftig mit den Händen zu
fuchteln. Auch wenn er angespannt wirkte, war er immer noch der flippige, jugendliche
Freak von vorhin.
»Das ist
doch der Typ von deinem Foto«, flüsterte Katinka. Ich nickte nur, denn nun ging
es drin wieder los.
»Wer sind
diese Leute?«, brüllte Karst. »Und was haben sie mit Tietje angestellt? Ben, du
hast ihn nicht gesehen, wie er da lag! Nachts wache ich mit Schüttelfrost auf, sein
Bild vor meinen Augen. Ich fühle mich schuldig, kapierst du das?«
Brose hob
abwehrend die Hände. Man konnte nicht hören, was er sprach, aber ohne sein bewährtes
»Hey, hey« dürfte er kaum ausgekommen sein. Beruhigung war angesagt. Reg dich nicht
auf, Andreas, alles wird gut.
Bei Karst
stieß er jedoch auf Granit. »Das genügt mir nicht«, schrie der Arzt. Von seiner
Strahlemannattitüde war nichts, aber auch gar nichts geblieben. Das Haar klebte
ihm in der Stirn, seine Augen flackerten. Hinten hing ihm das Hemd aus der Hose.
»Ich habe Alpträume, Ben! So viele Tabletten, wie ich brauche, kann man gar nicht
schlucken. Mit welchen Leuten hast du dich da eingelassen?«
Kopfschütteln
bei Brose. Er legte Karst beide Hände auf die Schultern und versuchte, ihn auf den
Stuhl zu drücken. Keine Chance. Mit energischer Handbewegung befreite sich der Arzt.
»Wo ist
bloß Miriam?«, murmelte Katinka. »Und der Hund?«
»Ich gehe
zur Polizei«, drang es nach draußen. Das war natürlich Karst. Brose fing an zu lachen.
Karst starrte ihn an. Zitternd. Brose lachte nur noch stärker.
»Mach dich
locker, Andreas«, hörten wir ihn johlen. »Du und zur Polizei?«
Gleich darauf
lachte er nicht mehr. Karst hatte eine Schublade der Kommode aufgerissen und ihr
einen Revolver entnommen. Den richtete er gegen die Stirn seines Besuchers. Brose
glotzte belämmert. Vorsichtshalber wich er ein paar Zentimeter zurück.
»Andreas!«
Katinka schrie auf. »Mach keinen Scheiß!«
Im nächsten
Moment war sie an der Terrassentür und begann, mit beiden Fäusten gegen die Scheibe
zu trommeln.
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»Hey, hey«, machte Brose. »Wenn
das so weiter geht, können wir eine Party feiern. Kommen da noch mehr?«
Er war es,
der uns die Terrassentür öffnete. Karst stand nach wie vor mitten im Raum und starrte
uns an, als seien wir Wesen aus einer anderen Welt. Seine Stirn glänzte schweißnass.
Die Hand, die den Revolver hielt, sank in Zeitlupe nach unten, bis sie senkrecht
gen Boden zeigte.
»Verdammt,
Andreas, was machst du für einen Mist?«, schrie Katinka, griff ihn bei den Oberarmen
und schüttelte ihn durch.
Keine Antwort.
Karst ließ sich schütteln wie ein Milchshake. Seine Augen waren blutunterlaufen.
»Die ist
nicht geladen«, meinte Brose mit Blick auf die Waffe. »Keine Angst, Leute. Andreas
würde so ein Ding
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