Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
niemals anfassen, wenn es geladen wäre.«
»Lass ihn,
Katinka.« Ich trat neben sie und streckte die Hand aus. »Geben Sie mir die Waffe,
Herr Karst. Bevor noch etwas passiert.«
Er reagierte
nicht.
»Nun sag
doch was, Andreas!« Katinkas Worte hallten von den kahlen Wänden wider.
Endlich,
endlich kam Leben in den Arzt. »Ich wollte das nicht, Katinka«, stammelte er. »Bitte
… glaub mir, ich wollte das nicht.«
»Was?«
»Alles.«
Seine Hand – die mit dem Revolver – beschrieb einen Kreis in der Luft, bevor sie
wieder bodenwärts sank.
»Wo ist
deine Frau? Und deine Kinder? Warum sieht es hier so aus?«
»Weg.« Er
versuchte sich an einem Achselzucken, aber selbst das misslang. »Weg sind sie, fort,
abgehauen. Miriam hat mitgenommen, was sie … Sogar den Teppich.« Er lachte hysterisch.
»Stell dir das vor, Katinka: sogar den Teppich! Ihr Bruder kam mit einem Anhänger
und lud alles ein. Weg war’s! Dabei hasst sie ihren Bruder.«
»Sie ist
weg? Seit wann?«
»Sommer.
Ende der Ferien.«
»Wie bitte?«
Katinka warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. »Seit einem Dreivierteljahr bist
du allein in der Wohnung? Seit einem Dreivierteljahr spielst du aller Welt etwas
vor, Andreas? Das kapiere ich nicht!«
»Sie waren
auch nicht an der Ostsee«, sagte ich. »Richtig?«
Karst schüttelte
den Kopf.
»Hat Ihre
Familie Sie verlassen, weil Sie so viel gearbeitet haben? Oder arbeiten Sie so viel,
weil Sie verlassen wurden?«
Müde sah
er mich an. »Spielt das noch eine Rolle?«
Ich schwieg.
Mit einem
Seufzer ließ sich Brose auf der Holzkiste nieder, die als Tisch diente. Er zückte
sein Handy und begann, darauf herumzuspielen. Durch Karsts Revolverhand lief ein
Zittern.
»Woher kennen
Sie sich eigentlich?«, wollte ich wissen.
»Vom Studium«,
antwortete Brose, ohne aufzusehen. »Wir hatten eine nette kleine WG in Köln. Und
hätten wir nicht in die Welt hinaus gemusst, um Geld zu verdienen, lebten wir jetzt
immer noch zusammen. Stimmt’s, Andreas?«
»Nie im
Leben!«, keuchte Karst. »Du bist doch an allem schuld!«
»Woran?«,
fragte ich. »Erklären Sie es uns, Herr Karst.«
»Geht es
um Alice?«, rief Katinka.
Brose hob
den Kopf. Karst wurde noch blasser, als er ohnehin schon war. Seine Lippen bewegten
sich, ohne eine Silbe zu formen.
»Hey, hey«,
sagte Brose und steckte das Handy wieder ein. »Alice … Jetzt bin ich aber geplättet.
Ehrlich wahr.«
Nach diesen
Worten herrschte Stille. Eine seltsame Stille. Karst sah aus, als würde er gleich
zusammenbrechen, in Broses Blick lag Anerkennung. Reaktionen, die zeigten, dass
wir auf der richtigen Spur gewesen waren. Es ging um Alice.
Und doch
konnte ich nicht verhindern, dass mich ein unangenehmes Gefühl beschlich … eine
dieser Ahnungen, wie man sie hat, wenn man eine Wegkreuzung nicht einsehen kann.
Irgendetwas stimmte hier nicht.
»Was ist
mit Alice?«, flüsterte Katinka. »Andreas, sprich mit uns! Sag uns, was passiert
ist.«
Karst holte
tief Luft. Dann strich er sich eine Strähne aus der Stirn, machte auf dem Absatz
kehrt und stürmte aus dem Zimmer. Wir blieben verblüfft zurück.
»Oje«, murmelte
Brose mit fatalistischem Grinsen. »Wenn das mal nicht bös ausgeht. Jetzt kommt bestimmt
eine Dummheit, wetten? Rien ne va plus!«
»Ich dachte,
Sie wollten heute noch nach Berlin«, sagte ich.
»Ja, heute.
Oder morgen. Immer flexibel bleiben.«
»Was ist
das für ein Schwätzer?«, flüsterte mir Katinka zu. »Und was will er hier?«
Ich zuckte
die Achseln. »Das wird er uns hoffentlich gleich verraten.«
Eine Grimasse
schneidend, fuhr sich Brose durchs Haar.
Katinka
trat vor ihn hin. »Wenn seiner Tochter etwas zugestoßen ist«, sagte sie leise, aber
bestimmt, »dann gnade Ihnen Gott!«
»Echt? Wessen
Tochter denn?«
»Andreas’
Tochter natürlich. Alice.«
Brose schaute
sie verblüfft an. Wieder fuhr er sich durch die Locken, diesmal allerdings langsam
und nachdenklich. Dann sprang er auf und eilte zur Tür. Ich hinterher.
»Komm zurück,
Andreas!«, brüllte er durch den Flur. »Sie wissen nichts von Alice. Nichts, hörst
du?«
Ich riss
ihn von der Tür weg. »Verdammt, erzählen Sie uns endlich, was hier gespielt wird!«
»Gespielt«,
lachte er. »Sehr richtig! Das Leben ist ein Spiel. Sie haben es erkannt, Herr Koller.
Aber nun gehen Sie bitte, bevor wir die Nummer mit dem Hausfriedensbruch durchziehen
müssen. Ciao, ihr beiden Süßen!«
Karsts Rückkehr
enthob mich einer Antwort. Abgehetzt kam er aus
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