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Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Kraftwerk in Sicht.
Das geliehene Fahrrad hatte keinen Tacho, aber ich schätzte Katinkas Lauftempo auf
deutlich über 15 Stundenkilometer. Schneller als ein Vierminutenschnitt pro Kilometer,
um es im Läufersprech auszudrücken.
    Gähnend
richtete ich mich im Sattel auf. Fuhr freihändig, dehnte und reckte mich, drückte
mir den Schlaf und die Traumschlacke aus den Augen. Wo waren eigentlich meine Kopfschmerzen
hin? Das Aspirin schien zu wirken. Oder es lag an der frischen Luft, an der kräftigen
Märzsonne, am glatten Asphalt, über den es sich ohne Anstrengung rollen ließ. Selbst
das böse Tier, das an meiner Muskulatur knabberte, gab Ruhe.
    Nach vier
oder fünf Minuten verfiel Katinka in lockeren Trab. Ein knapper Kilometer blieb
zum Plaudern, dann war erneut Tempo angesagt. Wieder ein Päuschen und wieder Belastung.
So ging das insgesamt vier Mal.
    In den Erholungsphasen
erzählte sie von Daniela Werner-Buttgereit, die nach der Wende ihre früheren Trainer
vor Gericht gezerrt hatte. Ein paar Kolleginnen von damals schlossen sich der Klage
an. Die große Mehrheit der Geschädigten zeigte an einer juristischen Aufarbeitung
jedoch kein Interesse. Eine Verurteilung wegen Dopings hätte im Umkehrschluss die
Unrechtmäßigkeit errungener Erfolge bedeutet. Und dazu konnte sich kaum eine durchringen.
Was uns schnell gemacht hat? Das Training natürlich, die Auslese, der Konkurrenzdruck
in einem perfekten System. Die paar Pillen nebenher waren bloß das I-Tüpfelchen.
Also lassen wir die Vergangenheit ruhen. Bloß keine Öffentlichkeit! Die eine war
mit ihrem früheren Trainer verheiratet, die andere saß für die Linke im Bundestag.
Für solche Leute war Daniela eine rachsüchtige, vereinsamte Alte, die ihren Karriere-
und Lebensknick nicht verarbeitet hatte.
    »Und was
kam bei den Prozessen gegen die Trainer raus?«
    »Ein paar
sind verurteilt worden. Zu Geldstrafen. Mehr war nicht möglich, weil so wenige Opfer
aussagen wollten und sich die Täter gegenseitig schützten. Und vor allem arbeiteten
die meisten längst wieder als Trainer. Bei den Schwimmern, den Radfahrern, aber
auch bei uns im DLV.«
    »Dem das
natürlich peinlich war.«
    »Ein paar
wurden fallen gelassen, zum Beweis für den brutalstmöglichen Aufklärungswillen der
Verbände. Der große Rest durfte weitermachen, bis heute.«
    »Grothe
zum Beispiel.«
    »Nein.«
    Bevor sie
weitersprechen konnte, musste sie sich an zwei Joggern vorbeischlängeln, die den
Weg in seiner gesamten Breite für sich beanspruchten. Sie trugen voll aufgepumpte
Rettungsringe um die Hüften, und überholt zu werden, gefiel ihnen gar nicht. Erst
recht nicht von einer Frau. Als ich, der Radfahrer mit der seltsamen Marmorierung
im Gesicht, sie dann noch zum Ausweichen zwang, war der Ofen endgültig aus. Es gab
halblaute Bemerkungen, gefolgt von diesem typischen Männer-unter-sich-Lachen, und
schließlich beschleunigten die beiden Helden. Wollten uns beweisen, wozu sie fähig
waren. Ihr Schnaufen in unserem Rücken, ihre Schritte auf dem Asphalt. Seht her,
wir können auch anders!
    Und nun
warteten sie darauf, dass wir uns umdrehten. Voll Verblüffung. Bewunderung. Vielleicht
um Verzeihung bittend: Sorry, Leute, war voreilig von uns, dieses Überholmanöver.
Wollt ihr nicht wieder nach vorn …?
    Natürlich
taten wir nichts dergleichen. Starrten geradeaus, ohne mit der Wimper zu zucken.
Bevor wir den Kopf gewandt hätten, hätte schon eine Bombe an der Isar explodieren
müssen. Katinka verdrehte bloß die Augen, wie mir ein kurzer Seitenblick verriet.
    »Männer!«,
murmelte sie voll Verachtung.
    Hinter uns
keuchte es zweistimmig.
    »Wie war
das jetzt mit Grothe?«, nahm ich den Faden wieder auf. »Er hat keine Dopingvergangenheit?«
    »Nicht als
Trainer. Dazu ist er zu jung. Beim Fall der Mauer war er Anfang 20 und ein guter
Langstreckler. Mit dem Trainerjob fing er erst Jahre später an.«
    »Und als
Läufer? War da was?«
    »Keine Ahnung.
Eine Überraschung wäre es nicht. Aber an Grothe interessiert mich nur, wie er sich
als Trainer verhält, und da ist alles korrekt.« Sie senkte ihre Stimme. »Du glaubst
nicht, wie viele Typen sich an der Ehre gepackt fühlen, wenn ich sie überhole. Die
würden einen Herzinfarkt riskieren, nur um nicht abgehängt zu werden.« Ein Blick
zur Uhr: »Noch eine halbe Minute, dann sind wir sie los.«
    Ich grinste.
Eine halbe Minute noch. Die zwei Asphaltcowboys ahnten nichts davon, sie holten
alles aus ihren Wohlstandskörpern heraus, und ihre

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