Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
fährst
nach München, nur um drei Sätze zum Buch einer Bekannten loszuwerden. Ganz schöner
Aufwand, findest du nicht?«
Sie schwieg.
»Oder hast
du dafür ein dickes Honorar bekommen?«
»Ach, Quatsch,
gar nichts! Nur Übernachtung und Anfahrt zahlen sie mir.«
»Siehst
du.«
»Okay«,
sagte sie, nun etwas entspannter, »du hast recht: Es ist mir wichtig. Und warum?
Du hast doch gehört, was Daniela erzählt hat. Die behinderten Kinder der Schwimmerinnen.
Dafür kann man schon mal nach München fahren.«
»Ist der
Zusammenhang denn bewiesen? Der zwischen Doping und den Behinderungen der Kinder?«
»So was
kann man nicht beweisen. Der eine schluckt und schluckt, ohne dass es zu Schäden
kommt, der andere stirbt mit Mitte 30 an dem Zeug.«
»Stirbt
er am Sport oder am Dope?«
Sie holte
Luft. »Wer hält seit Ewigkeiten die Weltrekorde im Frauensprint? Florence Griffith-Joyner.
Mit 37 bekam sie einen Schlaganfall, mit 38 starb sie. Herzstillstand. Detlef Gerstenberg,
ein Hammerwerfer, wurde nur 35. Leberzirrhose. Uwe Beyer, ebenfalls Hammerwerfer
und nachweislich gedopt: Herzinfarkt. Birgit Dressel, die Siebenkämpferin. Ralph
Reichenbach, Gewichtheber. Oder nehmen wir Frank Pfütze, DDR-Europameister im Schwimmen:
Der lag mit 32 plötzlich tot im Wasser.«
»Schon gut.«
»Die vielen
Radfahrer, die müsstest du doch kennen. Tom Simpson am Mont Ventoux. Knud Jensen,
der mit Amphetaminen vollgepumpt war. Marco Pantani …«
»Pantani
hat gekokst, das ist was anderes.«
»Auch ein
Mittel zur Leistungssteigerung. Und das sind noch die Fälle, die durch die Presse
gehen. Vom Fußball zum Beispiel redet kaum jemand. In Italien sterben reihenweise
Ex-Profis aus den Neunzigerjahren, in Algerien hat jeder zweite Nationalspieler
von früher ein behindertes Kind. Steht alles im Internet.«
»Naja …«
»Warum fällt
ein Bruno Pezzey mit 40 Jahren plötzlich tot um? Oder lies dir mal durch, was dieser
Footballer, Alzado hieß er, zu Protokoll gab, bevor er an seinem Hirntumor starb.
Anabolika und Wachstumshormone, ein ganzes Profileben lang.«
»Okay, ich
hab’s verstanden. Deine Position ist also eindeutig: Finger weg von dem Zeug.«
»Korrekt.
Und wenn jetzt dein Ermittlerhirn ins Rotieren gerät, kann ich dich nicht daran
hindern.«
Gott, muss
ich in diesem Moment blöd aus der Wäsche geschaut haben! Ich hatte nicht die leiseste
Ahnung, was sie meinte. Nicht nach dieser Nacht!
»Klär mich
auf«, knurrte ich.
»Sagen wir
mal so: Was ist der beste Weg, sich überall lieb Kind zu machen? Du nimmst das Wort
Doping nie in den Mund.«
»Aha.«
»Ja, aha.
Denn worüber man nicht spricht, das existiert nicht. Problem gelöst! Wenn du es
aber thematisierst, wenn du öffentlich gegen Doping eintrittst und glaubwürdig sein
willst, musst du auch den nächsten Schritt gehen und mehr Kontrollen einfordern.
Und das passt niemandem. Den Verbänden nicht, weil sie befürchten, dass eigene Athleten
auffliegen könnten oder die Leistungen zurückgehen. Den Politikern passt es nicht,
denn sie müssten die Gelder bewilligen, und den Sportlern passt es sowieso nicht.
Wenn du also Flagge zeigst, machst du dich ganz fix unbeliebt.«
»Weil durch
den Ruf nach schärferen Kontrollen quasi ein Generalverdacht auf die ganze Branche
fällt.«
»Genau.
Lieber lässt man alles so, wie es ist. Man faselt was vom Antidopingkampf, sobald
die Presse in Hörweite ist, gründet einen Runden Tisch mit all denen, die sich eh
Woche für Woche in irgendwelchen Gremien treffen, verleiht einen Orden für Transparenz
oder sauberen Sport – und fährt gleichzeitig die Geldmittel für Kontrollen drastisch
zurück. So einfach ist das.«
»Aber nicht
mit dir.«
»Meinen
Ruf als Nestbeschmutzerin habe ich gestern zementiert.«
»Und ich
dachte, der DLV sei stolz auf Leute wie dich. Was bist du nun: Vorzeigeathletin
oder das schwarze Schaf der Laufszene?«
»Beides
wahrscheinlich, je nach Bedarf. Der Verband steckt ja selbst in der Dopingfalle.
Offiziell loben mich alle für meine Position, hintenrum gibt’s Ärger. Frag mal Daniela,
wie es ihr ergangen ist.« Sie sah auf die Uhr. »Wir reden gleich weiter.«
Von einer
Sekunde auf die andere erhöhte sie die Geschwindigkeit. Wir hatten einen asphaltierten
Weg erreicht, der parallel zur Isar nach Norden führte. Ob der Grünstreifen links
von uns noch zum Englischen Garten gehörte, wusste ich nicht. Im Westen stach der
Olympiaturm in den blauen Himmel, nordöstlich kam ein großes
Weitere Kostenlose Bücher