Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
wachst auf, und deine Muskeln brennen! Wovon, frage ich mich. Welche Bäume habe
ich heute Nacht ausgerissen? Bin ich einen Marathon gelaufen? Im Schlaf?
Muskelkater
als Folge intensiver Träume. Max Koller, das medizinische Wunder. Am Whisky wird
es kaum gelegen haben. Schon eher an Rentiermilch, aber die gab es ja nicht in der
Gasteig-Bar. Und die Pillen? Daniela Werners Wundermittel aus den Siebzigern? Die
waren doch abgelaufen. Abgelaufen wie ein Paar Joggingschuhe nach Marathontraining.
Deine Zeit ist abgelaufen, Max Koller. Mindesthaltbarkeitsdatum in der Vergangenheit.
Schlepp dich ins Bad, spül dich den Ablauf der Dusche runter. Zu Risiken und Nebenwirkungen
fragen Sie Ihren Dopingarzt.
Ich schlief
wieder ein.
Als Katinka
von außen gegen meine Zimmertür bollerte, stand ich senkrecht im Bett. Und schrie
vor Schmerzen. Der Muskelkater war noch stärker geworden. Das Kopfweh unverändert.
Stöhnend erhob ich mich, schleppte mich zur Tür, öffnete sie aber nicht. Wenn ich
nur halb so schlimm aussah, wie ich mich fühlte, konnte ich nie wieder unter Leute
gehen.
»Was ist?«,
fragte Katinka von außen. »Kein Frühstück heute?«
»Weiß nicht.
Mal sehen.«
»In einer
halben Stunde ziehen wir los. Unten im Fitnessraum steht ein Fahrrad für dich.«
»Ich kann
nicht Fahrrad fahren.«
»Bitte?«
»Konnte
ich noch nie.«
Einen Moment
lang herrschte Stille, dann sagte sie: »In einer halben Stunde. Wir laufen rüber
zum Englischen Garten.«
Ihre Schritte
entfernten sich. Ich rührte mich nicht. Blieb mit der Backe so lange an der Tür
kleben, bis meine Backe nach Tür aussah. Oder umgekehrt. Der Klügere gibt ja angeblich
nach. Dann hangelte ich mich ins Bad, warf eine Handvoll Aspirin ein und stellte
mich unter die kalte Dusche. Während das Wasser über mich lief, schwor ich mir,
eines Tages nach Basel zu fahren und auf dem Gelände von Ciba bzw. dem Ciba-Nachfolger
eine Bombe zu zünden.
»Unkastrierter
Eber«, murmelte ich. Zu welchem Zweck wurden Eber eigentlich kastriert? Und wer
machte so was? Gab es eine Berufsbezeichnung dafür? Hey, Jungs, nächsten Montag
beginne ich meine Ausbildung als Eberkastrierer. Vielleicht war das Vieh in der
Nordheide ja vor so einem Typen davongerannt. Akute Kastrationsangst. Meine Solidarität
hatte es.
Eine halbe
Stunde später waren wir auf dem Weg zum Englischen Garten.
»Also, echt«,
sagte Katinka mit einem Seitenblick. »Nach dem Wildschweinunfall sahst du ja schon
kriminell aus. Aber das hier schlägt alles.«
»Hast du
auch so einen Muskelkater?«
»Ich? Nein.
Wieso sollte ich?«
Weil ich
darauf keine Antwort wusste, schwieg ich. Wir befanden uns irgendwo nördlich des
Stadtzentrums, der Englische Garten sollte direkt vor uns liegen. Katinka lief auf
dem Radweg, ich hielt mich an ihrer Seite oder direkt hinter ihr. Ein paar Leute
drehten sich nach mir um, aber hier in München war man Schlimmeres gewohnt. Strauß,
Mooshammer, Gauweiler. Und Beckenbauer, der mit dem Blutdoping. Über Nacht hatte
sich das Wetter gebessert. So, als wollte es meinem Zustand spotten. Oder als sei
ihm die Erinnerung an jenen strahlend blauen Augusthimmel vor 40 Jahren eine Verpflichtung.
Eine imposante
Allee kündigte den Saum des Englischen Gartens an. Schade, dass wir nicht im Sommer
hier waren. Belaubt machten die Riesenbäume sicher noch mehr her.
»Apropos
Muskelkater«, meinte ich, als Katinka auf einen der Kieswege einbog.
»Ja?«
»Nanuschka
war eine Katze, kein Kater, richtig?«
Sie funkelte
mich an. Gefiel ihr wohl nicht, meine Überleitung. »Eine Katze«, antwortete sie
kühl. »Ist das wichtig?«
»Eigentlich
nicht. Fiel mir nur so ein.« Wäre Nanuschka ein Kater gewesen, hätte ich nach seinem
Kastrationszustand gefragt. Aber auch das wäre nicht wichtig gewesen. Sondern bloß
eine Frage, die Rückschlüsse auf meinen Zustand erlaubte.
Wir drehten
eine Schleife Richtung Norden. Der Park war deutlich größer, als ich gedacht hatte.
Immer wieder gab es Freiflächen, auf denen Kinder spielten und Hunde tobten. Eine
Gruppe mittelalter Herren malträtierte einen Fußball, warf sich bayrische Schimpfwörter
an den Kopf und amüsierte sich prächtig. Man spürte, dass die Städter nur auf einen
solchen Tag gewartet hatten, um ins Grüne zu stürmen und Sonne zu tanken.
»Erklär
mir das mit dem Doping«, sagte ich nach einer Weile. »Um wen geht es da genau? Und
warum legst du dich so ins Zeug?«
»Tue ich
das?«, entgegnete sie eine Spur patzig.
»Du
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