Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
gegenseitigen Aufmunterungen
waren nicht nur kürzer als kurzatmig, sondern auch von einem unangenehmen Pfeifen
begleitet.
»Sollen
wir mal ernst machen?«, presste der eine hervor. »So richtig ernst?«
»Also, ich
könnte noch ewig so weiterlaufen.«
»Hinterher
ein Weißbier. Oder«, Keuchen, Keuchen, »oder zwei.«
Dann pfiff
es nur noch, denn die halbe Minute war um. Katinka zog den beiden mit geradezu mathematischer
Präzision und Eleganz davon. Sie lief so aufrecht wie zuvor, so ruhig und konzentriert,
nur ihre Beine arbeiteten intensiver. Größere Schritte, schnellere Schritte, aber
ohne jedes zusätzliche Geräusch, ohne Zeichen von Anstrengung. Doch, jetzt öffnete
sich ihr Mund ein wenig. Ich wollte wetten, dass sie noch einmal schneller unterwegs
war als bei den vorherigen Intervallen. Die Lauf- und Schnaufgeräusche hinter uns
verebbten.
War das
nicht der richtige Zeitpunkt, sich umzudrehen?
Ja, fand
ich und linste nach hinten. Da glotzten sie aber, unsere beiden Schwermatrosen.
Flatschten stumm vor sich hin, Schweiß und Enttäuschung auf der Stirn. Von diesem
Erlebnis würden sie zu Hause ganz bestimmt nichts erzählen. Auch nicht bei einem
Weißbier. Das ich ihnen übrigens gönnte. Erst recht, als wir an einem Biergarten
mitten im Englischen Garten vorbeikamen, in dem sogar eine Handvoll Mutiger vor
Maßkrügen saß.
»Eigentlich
sollte man sich von solchen Typen nicht aus der Ruhe bringen lassen«, stellte Katinka
ein paar Minuten später fest. »Jetzt war ich glatt zu schnell unterwegs.«
»Fällt Weißbier
auch unter die Dopingbestimmungen?«
»In manchen
Sportarten, ja. Bogenschießen und Motorsport zum Beispiel. Apropos Hobbyläufer:
Ich will nicht wissen, was die zwei hinter uns sich alles so genehmigen, nur um
dem anderen keine Schwäche zu zeigen.«
»Das ist
das Neandertaler-Gen. Steckt ganz tief in uns Männern drin.«
»Was im
Amateurbereich konsumiert wird, ist der helle Wahnsinn. Lies mal Untersuchungen
zum Dopingmissbrauch in Fitnessstudios. Du glaubst es nicht. Überall werfen sie
was ein, auch bei Seniorenwettkämpfen oder Triathlons auf dem Lande, wo es um nichts
geht.«
»Gerade
da geht es doch um alles. Ich hab mir mal mit einem 50-Jährigen eine Schlacht hoch
zum Königstuhl geliefert. Dass da der Notarzt nicht einschreiten musste, war reiner
Zufall.«
»Umso wichtiger
ist es, dass wir Profis unsere Vorbildfunktion wahrnehmen.«
Ich schwieg.
Diese Frau gab manchmal Sätze von sich, wie sie in jeder Broschüre des Gesundheitsministeriums
stehen könnten. Sätze mit blitzsauberer Moral, verkörpert durch eine Athletin, die
sportlich sowieso ein Muster an Disziplin, Fairness und Ehrgeiz darstelle. Mutter
war sie auch noch! Hatte Katinka eigentlich gar keine Fehler? Ich meine richtige
Fehler: persönliche Laster, schwarze Schatten, seelische Abgründe – nicht bloß ein
paar Macken rund ums Autofahren und eine unterkühlte Performance. Immerhin war ihre
Marathonzeit nur wenig schlechter als die von Romy Feierabend. Und die hatte bereits
eine Dopingsperre abgesessen.
Kamen Katinkas
Erfolge ganz ohne Unterstützende Mittel zustande, um es in der Sprache der untergegangenen
DDR zu formulieren?
Aber diese
Frage würde ich ihr nicht stellen. Nicht hier, unter der Märzsonne Münchens, und
nicht bei der Rückfahrt, auf der Autobahn.
Vielleicht
niemals.
16
»Uns sind die Hände gebunden, tut
mir leid.« Um sein Bedauern kundzutun, hob Kommissar Fischer seine eigenen Hände,
die zwar breit und behaart waren, aber überhaupt nicht gebunden, weshalb die Geste
nur bedingt zu seiner Aussage passte.
Dann erläuterte
er: Nanuschka sei in der Tat nicht vorm Haus der Glücks überfahren worden, sondern
an unbekanntem Ort. Überfahren oder anderweitig zu Tode gekommen, das lasse sich
aufgrund der – er räusperte sich, um Zeit für die korrekte Wortwahl zu haben – aufgrund
des spezifischen Zustands der Leiche – noch ein Räuspern – der Katzenleiche nicht
feststellen.
Das wunderte
mich nicht. Nanuschkas Körper war so zerquetscht gewesen, dass theoretisch fast
jede Tötungsart in Betracht kam.
Zumindest
sei sie nicht vergiftet worden, führte Fischer weiter aus, und Gift sei in vergleichbaren
Fällen, bei gezielten Gewaltakten gegen Tiere nämlich, die übliche Todesursache.
Man müsse also davon ausgehen, dass die Katze einem Unfall zum Opfer gefallen sei.
»Und warum
lag sie dann vor unserem Haus?«, fragte Katinka. »Das war eine Drohung, Herr
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