Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Irgendwann fragte sie mich, ob mir an ihr etwas auffiele.
»An dir?«,
fragte ich, so überrascht wie alarmiert. Wenn mir Christine eine solche Frage stellte,
kam es regelmäßig zum Streit. »Nicht direkt. Warst du beim Friseur?«
»Nein.«
»Hast du
zugenommen? Einen neuen Lippenstift? Bist du …«, ich schnappte nach Luft, »bist
du schwanger?«
»Nein!«,
platzte sie los. »Mach dich locker, Max! Ich wollte bloß wissen, ob ich müde aussehe.«
»Müde?«,
knurrte ich. »Die Frau rennt volles Rohr durch den Wald und fragt mich, ob sie müde
wirkt!«
»Heute Morgen
um halb sechs haben sie mich rausgeklingelt.« Und weil ich ein verständnisloses
Gesicht zog, fügte sie die Erklärung gleich an: »Dopingkontrolle.«
»Ah. Schlimm?«
»Sag mal,
hast du was getrunken? Du stellst vielleicht dämliche Fragen!«
»Nein, ich
meine, ob sie was gefunden haben? Okay, okay, ich weiß schon, es war bloß ein Test,
und die Ergebnisse erfährst du viel später. Vergiss es, ich wollte einfach nur meine
ganz naive Teilnahme bekunden.«
»Schön.«
»Und? Wie
war es nun?«
»Wie wohl?
Früh. Es klingelt, du denkst, da ist wieder so ein Spinner am Haus, stattdessen
sind es die Kontrolleure der NADA, und du betest zum lieben Gott, dass du wenigstens
ein paar Tropfen Pipi rausdrücken kannst, während dir jemand zusieht.«
»Verstehe.«
»Dann wacht
eines deiner Kinder auf, du bittest um Entschuldigung, aber das Pinkeln ist jetzt
wichtiger, die Kontrolleure sind ja auch nur Menschen und übernächtigt, außerdem
haben sie noch Termine in Stuttgart und Ulm. Alles Routine. Wenn es vorbei ist,
gehst du wieder ins Bett oder auch nicht und wartest. Entweder erfährst du nie etwas
oder nichts Gutes.«
»Wenn nichts
kommt, kannst du sagen: Schaut her, sie haben mich schon wieder negativ getestet.«
»Ja, klar«,
seufzte sie. »Und worauf haben sie dich getestet?«
»Keine Ahnung.«
»Eben.«
»Eben?«
Ich kapierte nicht.
»Die Kontrolleure
nehmen bloß Proben. So wie ein Heizungsableser den Energieverbrauch registriert.
Nach was gesucht wird, legt der Verband fest. Derselbe Verband, der seine Athleten
mit Gold dekoriert sehen möchte. Weil er dann wieder Geld vom Staat bekommt.«
»Der Verband
bestimmt, worauf getestet wird? Ein positiver Test kommt also nur auf Betreiben
des Verbands zustande?«
»Richtig.«
»Da beißt
sich doch die Katze in den Schwanz.«
Sie schwieg.
Was wahrscheinlich an der Katze lag.
21
Ostern. Der Freitagnachmittag war
angebrochen und das abendliche Bier in meiner Stammkneipe gewissermaßen schon auf
dem Weg in meinen Magen, als Katinka anrief.
»Es gibt
ein Problem, Max. Moritz ist krank. Heiner kann nicht mit nach Leipzig.«
»Verstehe.«
Ich sah das Bier vor meinen Augen schrumpfen und schrumpfen, bis es sich in Nichts
auflöste. »Was hat er denn?«
»Er übergibt
sich ziemlich heftig. Das kann morgen schon wieder vorbei sein, dann würden alle
nachkommen. Aber heute – keine Chance.«
»Und nun
brauchst du kurzfristig einen neuen Begleiter.«
»Ja.«
»Mich.«
»Wäre schön«,
kam es verhalten aus dem Hörer. Katinka hatte es nicht so mit dem Bitten.
»Geht in
Ordnung. Dann verlagere ich meinen geplanten Kneipenbesuch halt in den Osten. Was
sagen Eichelscheid und Harboth dazu? Wegen der Finanzen, meine ich?«
»Die Situation
hat sich halt geändert. Kannst du in einer Stunde vorbeikommen?«
In einer
Stunde? Das Leben als Leibgarde auf Abruf war kein Zuckerschlecken. Ich verkniff
mir die Frage, ob sie mich nicht in der Stadt aufgabeln könne, sagte zu und begann
zu packen. Eine Sache von fünf Minuten. Das Briefchen zu formulieren, mit dem ich
Christine um Verständnis für meine überstürzte Abreise bat, dauerte dreimal so lang.
Gegen vier
zogen wir los.
Die Fahrt
war beschissen. Dass ein Freitag nicht unbedingt für freie Straßen stand, wusste
ich. Aber heute musste unsere anglisierte Bevölkerung das mit dem Kar-Freitag falsch
verstanden haben. Stoßstange an Stoßstange! Osterurlauber und Wochenendtouristen
verstopften die Autobahn, fuhren zu schnell oder zu langsam, bildeten ein Kartell
der Smart-Hasser. Ja, sie schafften es, dass ich ungeahnte Gefühle für unsere Zwergenkarosse
zu entwickeln begann. Mitleid, Wärme, Solidarität. Wir Randfiguren der Gesellschaft
mussten doch zusammenhalten!
Fluchend
und knurrend hing ich also über dem Lenkrad. Und doch lohnten sich all die Entbehrungen.
Denn irgendwann, nach langen, zäh verstreichenden
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