Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
zu glotzen, zu fragen und Ratschläge zu geben. He, Leute, ihr habt
einen Halbmarathon zu beenden!
»Der berappelt
sich gleich«, sagte ich, doch jetzt ließen sie sich nicht mehr vertreiben.
»Das sieht
aber gar nicht gut aus.«
»Der ist
ja völlig weggetreten!«
»Fühl mal
nach seinem Puls.«
Zähneknirschend
ließ ich sie nähertreten, die Experten und Gutmenschen. Ich war kein Gutmensch,
ich hatte den Blonden mit einem Faustschlag niedergestreckt, und mir war egal, ob
er wieder auf die Füße kam oder nicht.
»Wir müssen
den Notarzt rufen«, sagte einer. »Der hat einen Infarkt, wenn ihr mich fragt.«
Alles starrte
mich an. »Ihm war nur ein bisschen schlecht«, gab ich zu Protokoll. »Wollte sich
kurz ausruhen, und plötzlich kippt er mir weg.«
»Der hat
einen Infarkt. Ich kenne mich aus.«
»Hat jemand
ein Handy dabei?«, rief eine Frau mit schriller Stimme.
Ich schwieg.
Meins kriegt ihr nicht!
»Im Ziel
stehen die vom Roten Kreuz«, sagte der Infarktexperte. »Die sind in einer Minute
da.«
»Okay, ich
renne schnell rüber«, sagte ich. Die Jagd war vorbei, dazu genügte ein Blick in
das Gesicht des Blonden.
»Warum laufen
Sie in Jeans?«, wollte die Frau wissen.
»Was?«
»Na, da.
Sie laufen in Jeans.«
»Eine Wette.«
Damit machte
ich mich vom Acker.
Im Dorf
erfüllte ich tatsächlich meine Pflicht und informierte die Notärzte, die sofort
lospreschten. Mit Blaulicht über die Laufstrecke. Noch immer stieß mein Körper Adrenalin
aus, ich spürte es. Wütend ballte ich die Faust und trat gegen eine große Mülltonne,
in der sich die Trinkbecher aus dem Zielbereich sammelten. Gleichzeitig war ich
erschöpft von der ganzen Rennerei. Meine Zehen schmerzten, bestimmt hatte ich eine
Blase.
Doch bei
aller Wut und Erschöpfung hatte ich nicht vergessen, mir die Startnummer des Brauenlosen
zu merken. Auf der Meldeliste fand ich seinen Namen: Heinrich de Weert, Jahrgang
1960. Er lief für einen Berliner Verein. Berlin – Leipzig – Karlsruhe … das waren
zu große Dimensionen für einen wie mich, der praktisch nie aus Heidelberg herausgekommen
war. Und dann auch noch ein holländisch klingender Name!
Apropos
Karlsruhe: Hatte de Weert nicht behauptet, einer seiner Auftraggeber sei in der
Halle gewesen? Mir fiel der Typ ein, der mich auf der Treppe aufgehalten hatte,
als ich dem Blonden folgen wollte. Dieser Dicke mit dem Klammergriff. Jetzt sah
die Sache natürlich anders aus.
Sie hatten
mich gelinkt, die beiden.
»Scheiße!«,
schimpfte ich und trat zur Abwechslung gegen eine Werbebande.
»Was ist
los?«, fragte Katinka, die plötzlich neben mir stand. Sie trug Trainingsanzug und
Mütze, in der Hand hielt sie eine Flasche mit einer gelben Flüssigkeit. Ihre Stimme
klang ruhig, doch ihr Gesicht war von der Anstrengung gezeichnet.
Ich starrte
sie an, als sei sie einem UFO entstiegen. Richtig, da war was. Ihr Lauf!
»Hast du
gewonnen?«, stieß ich hervor. »Welchen Platz hast du belegt? Kurz vorm Ziel wart
ihr noch zu dritt. Los, spann mich nicht so auf die Folter!«
»Du hast
ja eine Startnummer«, wunderte sie sich. Und dann, als ich nicht reagierte: »Dritte
bin ich. Aber die Platzierung ist nebensächlich. Ich hatte keine Lust auf einen
Endspurt. Die Zeit passt.«
»1:12? Ihr
wart verdammt schnell unterwegs.«
»Sogar knapp
drunter. In der letzten Runde haben wir etwas nachgelassen, sonst wäre es eine tiefe
1:11 geworden.« Sie trank einen Schluck aus ihrer Flasche. »Ein absurd schnelles
Rennen war das, damit hätte ich nie gerechnet. Aber warum trägst du nun eine Nummer?«
»Ach, das.«
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Hat mir einer geschenkt, der ausgestiegen
ist. Sollte ein Scherz sein.«
»Verschwitzt
bist du auch. Als wärst du mitgelaufen.«
»Bist du
verrückt? Ich doch nicht!«
Prüfend
sah sie mich an. »Was ist los? Habe ich etwas falsch gemacht?«
»Nein«,
rief ich und fuhr mir unentschlossen durch die Haare. Sie hatte ja recht, Stirn
und Nacken waren feucht von Schweiß. Außerdem konnte ich ihr die Wahrheit nicht
länger vorenthalten. Auch wenn es mir widerstrebte, sie jetzt, so kurz nach dem
Zieleinlauf, da sie noch ganz und gar Sportlerin war, mit dieser hässlichen Geschichte
zu konfrontieren.
»Komm mit«,
sagte ich und zog sie zu der ausgehängten Meldeliste. Zwischendrin mussten wir zwei
Mal stehen bleiben, weil jemand ein Foto machen und ein anderer ihr die Hand schütteln
wollte. Als wir es endlich geschafft hatten, zeigte ich auf de
Weitere Kostenlose Bücher