GlücksWeib (heiterer Frauenroman) (German Edition)
Meer rauschen.
„Das Meer! Dort ist das Meer!“, jauchze ich verzückt und haste die wenigen Schritte zum Wasser. Ich streife mir meine Stiefel im hohen Bogen von den Füßen und renne wie von einer Tarantel gestochen ins Meer hinein, obwohl ich noch ein kurzes Kleid trage. Lilli ist mir hinterher geeilt, aber das bemerke ich erst, als mich eine große Welle wieder zurück an den Strand spült.
„Du aufpaaasen!“, schreit sie mich an und deutet hektisch auf meine Füße. „Du musst Schuhe anlassen, böse Fisch kann stechen!“
Ich blicke sie verständnislos an und kapiere nicht. „Böse Fisch? Die Haie sind doch viel weiter draußen!’“, kreische ich gegen das Geräusch der tosenden Wellen an. Wie eine beschwipste Kröte springe ich umher, umarme Lilli und drehe mich mit ihr im Kreis.
„Juhu! Ist das schön!“, juble ich unbeschwert und winke Marlene und Erich zu, die uns vom Liegeplatz aus beobachten. Lilli kann meinen Freudentanz nicht viel abgewinnen und zupft mich mit ernster Miene am Ärmel. Mit einer ungeduldigen Geste lenkt sie meine Aufmerksamkeit auf den Boden. Sie hat mit einem Stöckchen etwas in den Sand gemalt.
„Das ist böse Fisch“, erklärt sie unheilvoll und zeigt halsstarrig auf ihre Zeichnung.
„Das ist kein Fisch, das ist ein Schmetterling“, behaupte ich stur.
„Das ist ein Stachelrochen“, fällt mir Erich ins Wort, der plötzlich wie hingezaubert neben uns steht. „Die vergraben sich im Sand, und wenn du da drauf trittst, dann hast du unerträgliche Schmerzen.“
„Oha“, grummle ich kleinlaut und kratze mich nachdenklich geworden am Kopf.
„Soll das heißen, dass man hier nur mit Spikes ins Wasser gehen kann?“
„Schwimmfüße“, korrigiert Lilli.
„Schwimmflossen“, verbessere ich einsichtig.
„Jetzt kommt endlich“, drängelt Erich. „Marlene hat uns schon Kaffee und was zu essen besorgt. Die Fähre müsste auch bald eintreffen.“
„Was riecht hier so gut?“, frage ich mit geschlossenen Augen, während ich in meinem Lieg estuhl vor mich hindöse und den süßlichen Duft tief inhaliere.
Marlene lacht kurz auf.
„Die rauchen alle Gras“, erklärt Erich.
„Gras?“, mischt sich Lilli fragend ein. „Soll ich besorgen?“
„Jetzt nicht, Lilli“, antwortet Marlene gähnend.
„Hier gute Qualität“, fügt Lilli noch hinzu.
„Später, auf der Insel“, vertröste ich sie und riskiere einen abschätzenden Blick auf die vielen Rucksacktouristen, die überall wie angespültes Strandgut im Sand herumlungern, oder mit einem Joint in der Hand, in ihren Liegestühlen dahindämmern.
Erst als die Sonne aufgeht, verwandelt sich die Trägheit in turbulentes Treiben. In verschiedenen Sprachen wird munter umhergeplappert. Es werden Erinnerungsfotos geschossen. Manche laufen kreischend ins Wasser, andere, stehen johlend am Steg und prosten mit ihren Bierdosen der aufgehenden Sonne zu. Ein junger Mann mit ultralangen Rasterzöpfen holt seine kleine Trommel hervor und beginnt, ekstatisch zuckend, auf sein Instrument einzuschlagen. Sein euphorischer Gesichtsausdruck lässt stark vermuten, dass er bereits dem irdischen Dasein entronnen und den glückseligen Pfad des Nirwanas erklommen hat.
Ein Bus mit weiteren Rucksacktouristen erweckt mein Interesse. Ich beobachte verständnislos, wie alle Fahrgäste den Bus fluchtartig verlassen und wie eine wild gewordene Hammelherde den langen Holzsteg, der zum Ankerplatz der Fähren führt, entlang hasten. Mir bleibt nicht viel Zeit, mir über die Ankömmlinge weitere Gedanken zu machen. Um uns herum wird es unruhig. Als hätte jemand ins Jagdhorn geblasen, schultern alle Anwesenden ihre Rucksäcke und machen sich ebenfalls auf den Weg. Wir werden von Lilli aus unseren Liegestühlen gescheucht.
„Wir müssen los!“, bläst sie zum Gefecht und deutet auf zwei kleine weiße Punkte, die weit draußen auf dem Meer umherhopsen.
„Sind das die Schiffe?“, frage ich ungläubig nach, aber bekomme keine Antwort mehr. Lilli treibt uns wie Packesel an und ehe ich mich versehe, haben wir uns in die Hammelherde eingereiht und trampeln gefühlte 500 Meter über einen wackligen Holzsteg. Mit fällt auf, dass alle Herdenmitglieder konzentriert zu Boden schauen und die Holzblanken im Auge behalten. Ich passe mich zügig dem Verhaltenskodex an, um nicht in einer der vielen Spalten zu latschen und dann im tiefen Wasser zu landen. Manche unbefestigten Stellen sind einen halben Meter breit, so dass man nur mit einem gehörigen
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