Gluehende Dunkelheit
Schnell!«, befahl Mr Siemons den Männern, die an der Tür warteten. Sie stürmten in die Kammer.
Miss Tarabotti verspürte ein kleines bisschen Mitleid mit ihnen. Sie selbst hatte keine Ahnung, wie schnell die Verwandlung vonstatten gehen würde. Sie hatte Siemons gegenüber behauptet, einen Werwolf in menschliche Gestalt zu verwandeln würde eine Stunde lang in Anspruch nehmen. Vermutlich nahmen sie an, dass seine Rückverwandlung ebenso lange dauern würde. Alexia hoffte, dass das Lord Maccon einen gewissen Vorteil verschaffte. So oder so war das, was nun folgen würde, Segen und Fluch zugleich, denn wenn die animalischen Instinkte wieder die Herrschaft über ihn übernahmen, war jeder in Gefahr, auch sie selbst.
Während Siemons und der Golem mit schnellen Schritten den Gang hinuntergingen, hörte Miss Tarabotti ein lautes Knurren, ein grausiges schmatzendes Knirschen und entsetzte Schreie. Diese Schreie ließen ihr das Blut in den Adern gefrieren, sodass sie selbst aufhörte zu kreischen und stattdessen alles daransetzte, der Gewalt des Golems zu entkommen. Sie trat und zappelte mit animalischer Kraft. Unglücklicherweise umfasste der Kunstmensch ihre Taille mit eisenhartem Griff. Da sie keine Ahnung hatte, woraus diese Monstrosität bestand, kam ihr der Gedanke, dass der Griff des Golems tatsächlich aus Eisen sein konnte.
Doch woraus auch immer das Skelettgerüst des homunculus simulacrum bestehen mochte, es war mit einer Schicht aus fleischartiger Substanz überzogen. Schließlich hörte Miss Tarabotti auf zu zappeln, weil das reine Energieverschwendung war, und starrte düster auf die Spiegelscherbe hinunter, die dem Golem aus dem Rücken ragte. Ein wenig einer zähen dunklen Flüssigkeit trat dort, wo die Scherbe steckte, hervor. Mit fasziniertem Entsetzen wurde ihr bewusst, dass Lord Maccon recht gehabt hatte: Das Ding war mit Blut gefüllt – altem, schwarzem, schmutzigem Blut. Ging es bei diesen Wissenschaftlern, so fragte sie sich, denn immer nur um Blut? Und noch eine Frage kam ihr in den Sinn: Warum war Lord Maccon so versessen darauf gewesen, den Golem zu verletzen? Dann kam ihr die Erkenntnis. Er brauchte eine Spur, der er folgen kann. Das wird nie funktionieren, dachte sie. Es blutet nicht genug, um eine deutlich sichtbare Fährte zu hinterlassen .
Sie versuchte, nicht zu genau darüber nachzudenken, was sie tat, als sie die Hand nach dem Spiegelstück ausstreckte, das im weichen Fleisch des Golems steckte, und sie sich beherzt die weiche Innenseite ihres Unterarms an einer Kante der Scherbe aufschlitzte. Ihr eigenes Blut, von einem gesunden leuchtenden Rot, quoll hervor und tropfte auf den mit Teppich ausgelegten Fußboden. Sie fragte sich, ob für Lord Maccon wohl selbst ihr Blut nach Zimt und Vanille roch.
Niemand bemerkte etwas. Der Golem trug sie, dem Befehl seines Meisters folgend, zurück durch das Empfangszimmer des Clubs und in den Bereich mit den Maschinen. Sie schritten an den Räumen vorbei, in die man Miss Tarabotti während der Besichtigung der Hypocras-Einrichtungen geführt hatte, und auf jenen Teil zu, den sie noch nicht kannte. Es war der Bereich, aus dem sie diese schrecklichen Schreie gehört hatte.
Sie erreichten den letzten Raum ganz am Ende des Korridors. Alexia gelang es, sich weit genug zu drehen, um ein kleines Stück Papier lesen zu können, das neben die Tür geheftet war. Darauf stand in sauberer Schönschrift, zu beiden Seiten von einem geprägten Oktopus eingerahmt: EXSANGUINATIONS-KAMMER.
Von ihrer Position auf dem Rücken des Golems aus konnte Miss Tarabotti nicht ins Innere des Raumes sehen, bis Mr Siemons einen Befehl in diesem merkwürdigen Latein aussprach und der Golem sie absetzte. Alexia machte einen Satz weg von der Kreatur wie eine nicht besonders flinke Gazelle. Sogleich packte der Golem ihre Arme, riss sie wieder an sich und hielt sie fest, sodass sie sich nicht bewegen konnte.
Sie versteifte vor Abscheu. Obwohl er sie gerade quer durch den gesamten Club getragen hatte, erschauderte sie bei der Berührung dieses Monsters.
Sie schluckte die aufsteigende Galle hinunter, holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. Nachdem sie ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden hatte, schüttelte sie sich das Haar aus dem Gesicht und sah sich um.
Der Raum enthielt sechs eiserne Pritschen von gleicher Form und Größe, die fest mit dem Boden verschraubt und in drei Zweiergruppen angeordnet waren. Jede Pritsche hatte die Ausmaße eines großen Mannes
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