Glühende Leidenschaft
kleine weiße Wölkchen. Sie war froh, außer ihren Handschuhen auch noch ihren wattierten Muff dabeizuhaben.
Sie hörte das leise Klicken der beiden Schlüssel in ihrer Tasche. Wenn sie rasch wieder zurückkam, konnte sie den Saxonhurst–Schlüssel vielleicht wieder zurückhängen, noch bevor er vermisst wurde. Bis dahin würden zwar schon die ersten Bediensteten im Haus unterwegs sein, aber vielleicht konnte sie ihn unweit der Tür einfach fallen lassen. Wenn man ihn dann fand, würde es aussehen, als sei die Schnur gerissen und von der Klinke gerutscht. Mit diesem Gedanken im Kopf steckte sie den Schlüssel in ihren Muff und rieb und zog an der Schnur, um sie durchzuscheuern.
Diese Beschäftigung lenkte sie zumindest von der unheimlichen Stille des Morgens ab. Noch nie zuvor war sie zu dieser frühen Stunde auf der Straße unterwegs gewesen. Dies schien weit mehr eine Zeit für Spukgeister und ähnliche Wesen zu sein als die tiefe Nacht. Denn die Nachtschwärmer, Herumtreiber und fliegenden Händler schliefen jetzt alle. Als eine Katze vor ihr über die Straße huschte, blieb Meg vor Schreck wie angewurzelt stehen.
Im Weitergehen sagte sie sich, dass es gut war, wenn so wenige Leute auf der Straße waren. Niemand würde ihr etwas tun. Aber dennoch bekam sie eine Gänsehaut. Sie wollte sich einreden, dass die nächtlichen Bösewichte – Diebe und Einbrecher, Schurken, die Mädchen raubten und an Bordelle verkauften – sich mittlerweile zurückgezogen hatten, aber dennoch schien ihr jede neblige Ecke, jeder dunkle Schatten eine Bedrohung zu sein.
Langsam jedoch wurde der Himmel heller, und London erwachte zum Leben. Ein Karren voller Kohlköpfe rumpelte auf seinem Weg zum Markt vorbei, gezogen von einer alten, sich abplagenden Mähre. Als Meg wenige Schritte später die Straße überqueren wollte, musste sie warten, denn ein beladener Postwagen raste vorüber, schwankte und ratterte über das Kopfsteinpflaster, von aufgeregten Hunden verfolgt. In Seitenstraßen lärmten Dienstleute oder tauchten gähnend aus ihnen auf, um an Brunnen Wasser zu holen oder zu Bäckerläden zu gehen. Mit der aufgehenden Sonne erschienen die ersten Straßenverkäufer und priesen lautstark ihre Waren an – Milch, Eier oder Orangen.
Doch als sie die Mallett Street erreichte, war ihr ehemaliges Zuhause noch immer von Stille umgeben; lediglich in den Ställen des benachbarten Gasthauses herrschte etwas Betriebsamkeit. Die Menschen hier hatten nur wenige Bedienstete, und alle standen ein bisschen später auf, um den Tag zusammen zu beginnen. Meg ging das vertraute Seitengässchen entlang und in den kleinen Garten ihres alten Hauses hinein.
Noch gestern Morgen war dies ihr Heim gewesen, sie hätte sich also nicht wie eine Einbrecherin vorzukommen brauchen. Aber dennoch klang das Klicken, als sie den Schlüssel im Schloss drehte, für sie wie ein Pistolenschuss, und sie blickte um sich in der Erwartung, jemand werde gleich Alarm schlagen. Aber nichts geschah. Mit einem erleichterten Seufzen drehte sie den Türknauf und schlüpfte in das kalte, dunkle Haus.
Wie verlassen es schien. Wie leer.
Sie sah sich in der Küche um. Die zerbeulten Pfannen und das angeschlagene Geschirr aus Steingut, alles stand noch an Ort und Stelle, wahrscheinlich war in dem irdenen Krug im Schrank auch noch ein Rest Haferflocken. Als sie zur Kirche gegangen waren, hatte sie sich so unsicher gefühlt, dass sie von ihrem spärlichen Vorrat an Nahrungsmitteln und Feuerholz nichts weggegeben hatte. Wenn sie wollte, konnte sie jetzt den Herd anschüren und Porridge machen …
Sie schüttelte derlei umherschweifende Gedanken ab und besann sich auf ihr Vorhaben. Unsinnigerweise aber gab sie sich auf dem Weg die Treppe hinauf zum Schlafzimmer ihrer Eltern trotzdem Mühe, möglichst keinen Laut zu machen, stieg dann vor dem Bett auf einen Stuhl und versuchte, den schweren Sack aus Brokat herunterzuholen.
Sie konnte ihn nicht finden!
Mit einer ärgerlichen, halblauten Bemerkung über das trübe Licht schwankte Meg auf der weichen Matratze herum und tastete danach.
Er war nicht da.
Fieberhaft und entgegen alle Vernunft suchte sie sämtliche vier Seiten des Bettgestells ab. Nichts. Kletterte herunter und suchte die Außenseiten der Bettvorhänge ab, wobei ihr Herz bereits vor wilder Panik raste. Der Stein war nicht da!
Wie? Warum? Wer?
Die Antwort auf »Wer« konnte nur lauten: Sir Arthur.
Zitternd vor Schreck sank Meg auf dem so vertrauten Bett zusammen. Dann
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