Glühende Lust
nicht einmal, ob er hier ist. Bestimmt liegt er irgendwo gefesselt im Palast.«
»Hochrangige Gegner behandelt man sicher anständig.«
»Das haben wir ja bei Nefertem gesehen …«
»Sei ruhig!« Merit gab ihr einen Klaps auf die Wange. »Pass auf, wir gehen nicht allzu nah an sie heran, und dann können wir notfalls weglaufen.«
Tani stöhnte leise, beide hatten sie dicke Blasen an den Füßen. Aber sie mussten nicht rennen, denn das Tor war geschlossen. Falls Männer es bewachten, dann auf der anderen Seite. Merit berührte den bronzenen Schutzgott Bes in seinem Ring, doch ihn gegen das Holz zu schlagen, wagte sie nicht.
»Komm«, flüsterte sie Tani zu und nahm sie an der Hand. Sie schlichen zur Rückseite des Anwesens. Hier gab es eine Stelle, an der die Ziegelmauer ein paar winzige Löcher aufwies. Als Kinder waren sie hier oft hinübergeklettert, wenn sie draußen gespielt hatten, denn auf der anderen Seite lockte der Brunnen mit kühlem Wasser. Merit schob die Zehen in das unterste Loch. Hinter sich hörte sie Tani ergeben aufseufzen, dann war sie auch schon oben und sprang auf die Brunneneinfassung. Die weniger flinke Tani keuchte und stöhnte, dass Merit schon glaubte, man könne sie hören. Doch hier, im Brunnenhof, hielt sich niemand auf. Auch das Wohnhaus schien verlassen, keine Lampe erhellte die Fenster. Die widerstrebende Tani hinter sich herziehend, lief Merit ins Haus. Alles wirkte unverändert, soweit sich das in der Düsternis sagen ließ. Aber wo steckten all die Bediensteten, die das Anwesen sonst so lebhaft wie einen Bienenstock machten? Da, Gelächter. Gesang. Flötenspiel. Und der Duft nach gebratener Gans.
Merit eilte die Treppe zu ihrem Gemach hinauf, um unbemerkt aus den Fenstern hinab in den Garten schauen zu können. Im Kreis mehrerer Fackeln hockten drei Männer auf ausgebreiteten Tüchern und stopften Fleischstücke, gegartes Gemüse, Feigen und schwarzes Brot in sich hinein. In ihren wirren Bärten glänzte Fett; es troff auf nackte, muskulöse Brustkörbe. Die Dienerschafteilte sich, ihren Wünschen nachzukommen. Zwei junge Männer gossen Wein in Kelche, zwei andere trugen eine weitere Gans heran und mühten sich, sie in mundgerechte Stücke zu zerteilen. Sie schauten dabei ängstlich. Die Töne, welche die drei im Gras knienden Musikantinnen den Harfen und Flöten entlockten, waren schief, doch daran schienen sich die Assyrer nicht zu stören. Der Rest der Dienerschaft hatte vermutlich das Weite gesucht. Nein, der Hausherr war gewiss nicht mehr hier und würde vielleicht niemals zurückkehren.
Einer der Assyrer, ein besonders kräftiger, dessen Muskelstränge an den Armen sich wie Schlangen wanden, warf sich auf den Bauch und kroch zu einer der Musikantinnen. Sie wimmerte, als er sich so nah an sie heranschob, dass sein Kopf ihre Schenkel teilte. »Spiel schön weiter!«, befahl er. »Sonst bekommst du meinen Gürtel zu spüren.«
Er lachte. Ihre Finger krallten sich in die Harfensaiten. Seine Hand klatschte auf ihre Hüfte, dann stieß er sie, ohne sich aufzurichten, rücklings ins Gras. Er schob ihr Kleid hoch und schnupperte. Jammernd zog sie die Beine an. Seine wirren Haare bedeckten ihren Unterleib; er schien sich an ihr gütlich zu tun wie an einer süßen Honigwabe. Die Harfe lag vergessen im Gras, und das Flötenspiel der anderen Frau, die sich ängstlich ein Stück entfernt hatte, klang noch erbärmlicher. Die Harfenspielerin verbarg ihr Gesicht in den Armen. Als ein anderer Assyrer sich auf die Flötistin warf und ihr Kleid über die Hüften zerrte, erstarb die Musik endgültig. Der Dritte grölte weinselig, man möge sich eilen, damit auch er zu seinem Recht käme. Dabei stieß er den Becher in den Himmel, dass der Wein spritzte.
Merit wankte vom Fenster fort. »Diese … dieseMänner«, krächzte sie und rüttelte die vor Furcht bleiche Tani an der Schulter. »Ich glaube, die waren es, die unsere Barke überfallen haben. Lass uns verschwinden.«
»Und ob ihr verschwinden werdet!«, kam es zischend vom Eingang her. Merit ging vor Schreck in die Knie. Doch die schmale Gestalt, die sich ins Innere schob, war alles andere als bedrohlich.
»Sitankh!« Sie sprang auf und warf sich der alten Dienerin entgegen. »Wo ist mein Vater?«
»Schhh.« Sitankh drückte die knorrigen Finger auf Merits Mund. »Man hat ihn früh am Morgen geholt. In den Palast, soviel ich weiß. Nefertem ist auch dort; jedenfalls haben diese Kerle damit geprahlt, ihn eingefangen und dorthin
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