Glühende Lust
seltsam.
»… die Getreidespeicher sind noch zur Hälfte gefüllt, im ersten mit Emmer, im zweiten mit Gerste …«
Hatte er sie in jener Nacht auf dem Nil leichtfertig fliehen lassen? Aber alles war so schnell gegangen, sein Herz hatte nach Kampf gedürstet, nicht danach, sich mit einem zappelnden Frauenkörper abzuplagen.
»… Gold im Wert von dreißig Schati, Silber im Wert von achtzig Schati …«
Und in der vorigen Nacht? Wie dreist sie doch gewesen war! Zweimal waren sie sich nun begegnet, und er wusste nicht einmal, wie sie aussah, von jener berückenden Einzelheit abgesehen, dass sich ihre Haarspitzen vorwitzig in Richtung Nase gebogen hatten. »Schati?« Er neigte sich vor. »Wie viel ist das?«
Der Verwalter zuckte zurück. »Das sind in … assyrischen … Ta…Talenten … Ich weiß es nicht.« Er schluckte. »Gib mir Zeit, Herr, es in Erfahrung zu bringen.«
Schanherib erhob sich, da er fand, fürs Erste diesem Thema ausreichend Zeit gewidmet zu haben. Ängstlich stolperte der Verwalter rückwärts, verneigte sich tief und starrte zu ihm hoch. Mit einer Handbewegung entließ ihn Schanherib und lief zu dem Gartenteich. Doch am geziegelten Rand blieb er stehen, denn mehrals vier Schwimmstöße ließen sich darin nicht tun. Ein Spielbecken für müßige Adelskinder. Zwischen den Lotosblüten trieb ein Entenpärchen, das sich gestört fühlte; es hüpfte schnatternd heraus und watschelte davon. Ich hätte das Mädchen greifen können, hätte ich nur nicht gezögert!, dachte er und fragte sich, ob er nur deshalb an sie dachte, um sich nicht mit diesem lästigen Geschenk des Königs abplagen zu müssen. Ganz sicher war es so.
Ursu-Gila kam herangelaufen. »Schon gereizt vom Nichtstun?«, rief er lachend. »Dem lässt sich abhelfen. In der Nähe des Palastes haben sich Aufrührer zusammengerottet.«
»Bei Assur!« Schanherib schlug ihm auf die Schulter und stapfte an ihm vorbei. »In den engen Gassen sind wir schneller als die gesamte assyrische Streitmacht. Erteilen wir den Perückenträgern eine Lektion, die sie endlich begreifen werden!«
Merit betrachtete ihre geröteten und geschwollenen Hände. Dann den Berg von Geschirr, der noch vor ihr lag. Stunde um Stunde hatte sie versucht, dem Dreck Herr zu werden. Das hier war keine Schenke, es war eine Schande! Und sie, die Tochter des Wesirs, mittendrin! Nun, inzwischen hatte sie so viel erlebt, dass ihr dies auch nicht merkwürdiger als alles andere vorkam. Ein paar Tage würde sie es durchstehen. In dieser Zeit würden sich ihre Gedanken klären und sie begreifen, was sie dann tun sollte. Jetzt half ihr die eintönige Tätigkeit, zur Ruhe zu kommen, nicht mehr ständig an den Vater, den Bruder und die ganze Umkehrung der Maat zu denken. Sie kroch zum Brunnen, beugte sich über das gemauerte Wasserloch und kühlte die Händedarin. Dann wollte sie wieder nach einer Handvoll Sand greifen, um sie in eine der verkrusteten Pfannen zu werfen.
»Hör doch endlich auf, Herrin, bitte«, flehte Tani. »Ich finde es unerträglich, mitansehen zu müssen, dass du schuftest.«
»Was ist denn derzeit nicht unerträglich?« Merit hockte sich aufs Gesäß und griff nach dem Becher, den Tani eilig mit Wasser gefüllt hatte und ehrerbietig reichte, als gäbe es hier noch einen Unterschied zwischen ihnen. Dann kroch Tani an ihre Seite, schob die Haare beiseite und streichelte und küsste ihren Nacken.
»Steck doch deine Füße ins Wasser. Und dann mach die Augen zu und stell dir vor, wir säßen daheim am Teich.«
Merit gehorchte. Aber das war ja ganz unmöglich, denn duftete es hier nach Blumen, nach süßem Wein, nach den feinen Ölen, mit denen selbst die Diener ihre Körper einrieben? Das Wasserloch war winzig, sie stieß mit den Zehen gegen die schrundigen Seiten. Die Mauern des Hinterhofes, der an den Schankraum anschloss, standen eng beieinander und hielten die Tageshitze. Tatsächlich gab es einen Gartenstreifen hier, aber das Gras war dürr, die Beete trocken; die Früchte des Feigenbaums, der dieses Eckchen überschattete, hatte niemand geerntet. Tani nahm ihre Hände und kehrte sie nach oben. Ihre Fingerspitzen krochen über die Haut und erzeugten einen angenehmen Schauer. »Ich bemale deine Handflächen mit Henna, ganz wie’s eine Edelfrau haben sollte.« Zart glitten die Finger durch ihr Haar, rieben die Kopfhaut. Merit fröstelte. »Ich wasche dein Haar und befestige einen Salbkegel darin. Stell dir vor, wie sich das Öl erwärmt und an
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