Glühende Lust
Oberarme des Assyrers.
»Ich will dir vertrauen«, sagte er erstickt. Tränen liefen über seine fülligen Wangen. »Finde sie. Bitte.«
Schanherib nickte. »Du hast mein Wort.«
Ein allzu leichtfertig geäußertes Versprechen, angesichts dieser knisternden, raschelnden, surrenden Wildnis. Die riesigen, ihn weit überragenden Papyrusstängel rieben in der Brise gegeneinander. Frösche und Grillen lärmten von überallher, rechterhand plätscherte der Fluss. Die palmengesäumten Ufer des Tigris gaben sich ruhiger. Oder er täuschte sich, weil er dort nicht nachts herumzulaufen pflegte? Wenigstens konnte er leidlich sehen, denn der Mondgott Sin zeigte die Hälfte seiner Gestalt. Neigten sich die buschigen Papyruskronen jedoch dichter einander zu, musste er sich mehr auf das Gespür seiner Füße verlassen. Ein tödlicher Unfug, hier herumzustolpern! Was er tun sollte, fände er Merit bedroht von Krokodilen vor, war ihm schleierhaft. Einem schlafenden Wachtposten hatte er den Dolch gestohlen – eine armselige Waffe gegen die Geschöpfe von Merits Lieblingsgott.
»Warum nur hat dein Vater nicht Bastet gewählt?«, knurrte er in die Düsternis. »Katzenschreine gibt es in jedem Haus. Oder irgendeinen eurer Falkengötter, dem hättest du schwerlich in den Himmel folgen können. Oder besser noch Tajet, die Göttin der Webkunst!«
Er hielt sich dicht am Wassersaum. Sollte er den Schrein übersehen, würde er nach Einbruch der Morgendämmerung die Strecke zurücklaufen, im Innern des Waldstreifens dann. Noch war es nicht so weit. Noch lief er. Noch betete er im Stillen und verfluchte seine Knochen und Muskeln, die ihn schmerzhaft daran erinnerten, dass er längst nicht in alter Form war.
Glitt da nicht etwas ins Wasser? Ein langer Schatten?
Er wartete, lauschte und war sich nicht mehr sicher.Er schritt weiter. Sämtliche Versuche, dies leise zu tun, waren zum Scheitern verurteilt. Unter seinen Sandalen krachte das Schilf. Oder er sank bis zu den Knöcheln in den Schlick. Seine Schritte wurden ihm zusehends zur Qual.
Wieder ein Schatten auf dem silbrig glänzenden Fluss. Landeinwärts rauschte das Schilf, als fege ein Tier auf der Jagd hindurch. War Merit sich früh am Tage bewusst gewesen, wohin sie flüchtete? Falls sie noch hier war, hockte sie sicherlich schlotternd vor Furcht am Schrein. Diese kleine Närrin! Er fuhr herum, als er etwas hinter sich glaubte. Dann stapfte er weiter. Den Hintern würde er ihr versohlen, wenn …
Eine Gestalt stakste durch das Wasser. Sie neigte sich vor und hob einen Korb aus dem Fluss. Ein nächtlicher Fischer. Schanherib wartete, bis er in seinen Binsennachen gestiegen und fortgepaddelt war, und lief weiter. Er überlegte, ob er nach Merit rufen sollte. Besser nicht, vielleicht vertrieb er sie dadurch.
Da sah er sie.
Merit kniete am Ufersaum, schöpfte mit beiden Händen Wasser und trank. Kaum mehr als ein Schemen, und doch glaubte er jede Einzelheit zu erkennen, so vertraut war sie ihm längst. Sie musste Hunger haben. Unter dem gewaltigen Schirm einer Akazie entdeckte er auch den Schrein, ein mannshohes Tempelchen. Ihr Gott hatte Merit beschützt. Bis jetzt zumindest – diese Schattenwelt war für seinen Geschmack viel zu lebendig … Er stierte in die Schwärze.
»Merit!«, brüllte er und rannte, so schnell es auf diesem schlüpfrigen Untergrund möglich war, auf sie zu. Sie sprang hoch. »Auf den Schrein, schnell!«
Er musste sie herumwirbeln und vorwärtsstoßen.Fast zugleich riss er den Dolch aus dem Bund seines Schurzes. Merit wankte auf den kastenförmigen Sandstein zu, dicht blieb er hinter ihr. Wo um ihn herum es lärmte, vermochte er nicht mehr zu deuten. Er sah nur noch sie, wie sie sich abmühte, an den reliefartigen Vorsprüngen hochzuklettern. Rasch stieß und schob er sie hinauf und eilte sich, ihr zu folgen. Dann waren sie oben. Er gestattete sich, zu Atem zu kommen.
»Hier sind wir sicher«, sagte er leise und blickte hinter sich. Nur ein Mensch könnte am Stamm der Akazie hinaufklettern. »Merit? Merit!«
Er stöhnte auf, als er gewahr wurde, dass sie Anstalten machte, auf der anderen Seite des Schreins wieder hinabzusteigen.
»Bist du von allen guten Göttern verlassen?« Schnell packte er sie und zog sie wieder zurück. »Willst du dich von den Krokodilen zerfleischen lassen?«
»Was redest du …«
»Sei vernünftig!« Er schüttelte sie, heftiger als beabsichtigt. »Bis zum Morgengrauen werden wir ausharren müssen; es ist ohnehin ein
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