Glut der Gefuehle - Roman
den Tatsachen – die Countess ist deine Mutter.«
Das konnte India noch immer nicht akzeptieren. »Manchmal sehe ich mich als Tochter des alten Earls – nie als ihr Kind. Und dass ich Margraves Schwester bin|... damit werde ich mich wohl niemals abfinden.« Unwillkürlich erschauerte sie. »Glaubst du, ich sollte die Einladung der Countess annehmen?«
»Das musst du selbst entscheiden.«
»In gewissen Situationen ist es leichter, wenn man einfach nur tut, was einem gesagt wird.«
»Dazu lasse ich mich nicht verleiten.«
Lächelnd strich sie ihm über die Brust und spürte seinen kraftvollen Herzschlag. »Es geht Ihrer Ladyschaft nicht gut, Matthew. Vielleicht wäre es meine Pflicht, ihren Wunsch zu erfüllen.«
»Ja|... vielleicht«, antwortete South so neutral wie möglich.
Nach dem grausigen Geständnis ihres Sohnes hatte die Countess mit dem Leben abgeschlossen. Während er in einer geschlossenen Anstalt dahinvegetierte, wurde sie zu Hause von treuen, vertrauenswürdigen Dienstboten umsorgt.
»Gilt die Einladung für uns beide?«, fragte South. »Solltest du es wünschen, würde ich dich begleiten.«
»Wenn sie dich in ihrem Brief auch nicht erwähnt hat – sie würde dir wohl kaum die Tür weisen.«
»Da bin ich mir nicht sicher. Sie verübelt mir das Schicksal ihres Sohnes.«
»Weil sie ihre eigene Verantwortung von sich weist. Immerhin verdankt sie dir, dass er noch lebt.«
»Trotzdem... für ihn muss die Gefangenschaft in einer Anstalt die reinste Qual sein.«
»Sie kann ihn besuchen.«
»Und bei jedem Begegnung bricht ihr das Herz.«
»Für alle Beteiligten ist diese Lösung am besten. Lady Margrave musste ihren Sohn nicht am Galgen enden sehen. Und uns kann er nichts mehr anhaben.« India schmiegte sich noch fester an ihren Mann.
Immer und überall würde er sie beschützen. Das wusste sie. Schon vor seinem richtigen Heiratsantrag hatte sie Ja gesagt – auf eine ganz besondere Weise. Sie hatte einfach jene Sonderlizenz aus der Tasche seines Gehrocks gezogen und vor seiner Nase geschwenkt. Weder seine Familie noch die Londoner Gesellschaft fanden die Ehe skandalös. Sein Vater hatte mehr oder weniger damit gerechnet, nachdem South derart verzweifelt bestrebt gewesen war, Indias Versteck zu finden. Sogar Lady Redding fand sich mit dem Umstand ab – ebenso würdevoll wie Northams Mutter mit einer ähnlichen Situation.
»Bald wird Mutter dich so oft in alle Londoner Salons schleppen, dass du glauben wirst, du seiest mit ihr verheiratet«, hatte South seine Gemahlin gewarnt, »nicht mit mir.«
Während die Londoner Hautevolee nur erfuhr, sie sei das Mündel des verstorbenen Earls und der Countess von Margrave, bestand India darauf, Southertons Eltern etwas mehr zu erzählen. Und mit dieser Ehrlichkeit gewann sie das Herz ihrer Schwiegereltern. Southertons Freunde nahmen sie bereitwillig in ihrem Kreis auf. Auch dem Oberst begegnete sie ein zweites Mal. Dabei beklagte er ihren Rückzug von der Bühne, den ihre Heirat verursacht
hatte. Diesen Entschluss bereute sie nicht. Für sie war das Theater bloß ein Zufluchtsort gewesen. Als sie ihrem Ehemann versicherte, ihre schauspielerische Karriere würde ihr nicht fehlen, glaubte er ihr, und das bedeutete ihr viel.
Durch Doobins Anwesenheit wurde sie oft genug an das Drury Lane erinnert. Anerkennend beobachtete sie, wie er sich unter Darrows wachsamem Auge zu einem tüchtigen, verlässlichen Dienstboten entwickelte. Mittlerweile hatte er sich schon oft unentbehrlich gemacht – zum Beispiel hätten die Mitglieder des Kompass Klubs ohne seine Hilfe nicht so schnell herausgefunden, wo und auf welche Weise sich ihr Freund an Margrave heranpirschte. Mit Doobins Skizze von Southertons Verkleidung waren sie nach Marlhaven aufgebrochen.
Um die Routine des Haushalts nicht zu stören, hatten sie beschlossen, erst einmal ihre Bekanntschaft mit Margrave zu erneuern, bevor sie Kontakt mit South aufnahmen. Die gemeinsame Schulzeit in Hambrick Hall genügte als Begründung für den Besuch. Doch dann mussten sie viel zu lange in der Bibliothek warten. Obwohl die Haushälterin mehrmals beteuerte, Seine Lordschaft würde bald erscheinen, fürchteten sie allmählich, sie seien bereits zu spät gekommen.
Northam zeigte der Frau Doobins Skizze. Verblüfft erkannte sie den schäbigen, alten Kohlenträger, wusste aber nicht, wo er sich derzeit aufhielt. Dann zwangen sie die Frau, ihnen zu erklären, wo Margraves Privatgemächer lagen. Allerdings weigerte sie sich
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