Glut der Gefuehle - Roman
zur Seite, Mylady«, warf India ein. Mit voller Absicht nannte sie Marianne Hawthorne ihre Mutter.
Bestürzt presste die Countess die Lippen zusammen und senkte den Kopf, um den Schmerz in ihren Augen zu verbergen.
»Und dann haben Sie mich in ihre Obhut gegeben«, fügte India hinzu.
»Ja. Ich hasste meinen Mann und wollte ihn quälen, indem ich ihn für immer von seinem Kind trennte.«
»Das verstehe ich nicht. Wenn Margrave mein Halbbruder ist und Sie unsere Mutter sind, Mylady...« Indias Stimme erstarb, und es dauerte eine Weile, bis sie weitersprechen konnte. »Sie sind doch unsere Mutter?«
»Oh ja!«, bekräftigte Margrave und lachte freudlos. »Glaub mir, liebste Schwester, diese Hure ist unsere Mutter.«
Mit bebenden Fingern umklammerte India die Hand des Viscounts. »Wenn Ihr Gatte Margraves Vater war, Mylady, wer ist dann meiner?«
»Nun hast du die falschen Schlüsse gezogen, Diana.« Sekundenlang schloss die Countess die Augen. »Du bist kein illegitimes Kind. Im Gegensatz zu meinem Sohn...«
Entgeistert wandte sich India wieder zu Margrave. »Wusstest du das?«
»Anfangs noch nicht. Ich fand es erst später heraus. Zunächst hielt ich mich für den rechtmäßigen Erben des Earls. Und du warst der Bastard seiner treulosen Ehefrau. Lange vor dem Earl erfuhr ich die Wahrheit. Darauf wiesen mich die Briefe hin, die meine Mutter von ihrem Liebhaber erhalten hatte. Bevor der Earl starb, erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Es würde mich nicht überraschen, wenn das seinen Tod beschleunigt
hätte. Vielleicht verließ ihn sein letzter Lebensmut.«
Lady Margrave drehte sich zu ihrem Sohn um, sah sein verzerrtes Lächeln, las den Wahnsinn in seinen Augen. Diesen Ausdruck kannte sie – nicht das fiebrige Flackern im Blick eines Menschen, der den Bezug zur Realität verloren hat, sondern die dunkle, durchdringende Kälte eines Monstrums, das die Wirklichkeit manipulierte. Früher hatte sie geglaubt, er würde ihr gleichen. Nun erkannte sie den Sohn seines Vaters. »In der Tat, du hast den Earl umgebracht. Aber nicht mit deinen letzten Worten. Was hast du benutzt? Arsen? Fingerhut?«
Entsetzt hielt India den Atem an. Doch Margrave zuckte ungerührt die Achseln.
»Können Sie das beweisen, Madam?«, fragte South.
Unverwandt musterte sie ihren Sohn, während sie entgegnete: »Das weiß ich – obwohl es keine Beweise gibt. Er fürchtete, mein Gemahl würde ihn enterben, wenn die Wahrheit ans Licht käme. Oft genug habe ich Allen versichert, ich würde schweigen. Warum sollte ich meinem Mann den Ehebruch gestehen? Damit hätte ich nichts gewonnen – und alles verloren. All die Jahre lang ließ ich ihn im Glauben, er sei der Vater des Kindes, das ich von meinem Liebhaber empfangen hatte. Sein eigenes Fleisch und Blut hielt ich von ihm fern. Meinen Sie, das hätte er mir verziehen, Southerton?«
Auf diese letzte Frage erwartete die Countess keine Antwort. India wechselte einen kurzen Blick mit South, und Margrave fixierte seine Mutter.
»Wieso hattest du solche Angst vor deiner Halbschwester?« Mit einer Fußspitze schob Lady Margrave das Brett beiseite, das sie ebenso wie India geschwungen hatte. Dann trat sie näher zu ihrem Sohn. »Es gab keinen Grund,
warum sie in dein Leben treten sollte. Deinen Vater liebte ich. Du warst es, den ich stets verwöhnte und umsorgte, dem ich jeden Wunsch von den Augen ablas. Doch das genügte nicht, um die seelenlose Leere in deinem Innern zu füllen.« Langsam ging sie zu India. »Uns beide wollte er töten. Vielleicht hätte er dich etwas länger am Leben gelassen. Dafür hättest du ihm jedoch nicht gedankt. Mein schnelleres Ende wäre eine Gnade gewesen... Allerdings weiß ich nicht, was er ohne uns getan hätte. Auf unsere Weise erhielten wir ihn am Leben. Verstehst du das, Diana? Für uns lebte er – ganz besonders für dich – so wie sein Vater für mich gelebt hatte. Nachdem der Earl ein Ende dieser Liaison erzwungen hatte, beging Allens Vater Selbstmord. Begreifst du jetzt, warum ich befürchten musste, sein Sohn würde diesem Beispiel folgen? So ähnlich waren sich die beiden...« Geistesabwesend starrte sie ins Nichts. »Und so viele Wünsche haben sie geteilt...«
Über Indias Rücken rann ein eisiger Schauer. South streichelte ihr über die Finger. Dann ließ er ihre Hand los und stand auf. »Niemand bezweifelt, wie sehr Sie Ihren Sohn und den Vater Ihres Sohnes geliebt haben, Madam. Und wenn Margrave es auch leugnen mag – er kennt die Wahrheit.
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