Glut der Gefuehle - Roman
diesen letzten zwei Wochen hatte India niemanden gesehen, mit dem sie nicht regelmäßig verkehrte. Die Verehrerschar, die ihre Garderobe besuchte, hatte sich nicht geändert. Zu Hause empfing sie lediglich ihre Garderobiere, die Theaterschneiderin, Mr Kent und Doobin.
Erbost warf Southerton die Times an das Fußende seines Betts. Auf seinen Knien schwankte das Frühstückstablett. Was war ihm nur entgangen? Wieso hatte er sich Sand in die Augen streuen lassen? Welche M.s kannte er? Montrose. Milbourne. Matthews. Macquey-Howell. Morris.
»Darrow!«
Sofort erschien sein Kammerdiener auf der Schwelle des Ankleidezimmers. »Mylord?« Weder eine gerunzelte Stirn noch verkniffene Lippen ließen erkennen, dass er diesen gebieterischen Ton nicht gewohnt war.
»Setzen Sie eine Anzeige in die Gazette. Irgendetwas, und unterzeichnen Sie es mit den Initialen D. O.« Das würde genügen, um Southertons Absicht zu bekunden, India Parr zu treffen. Sollte sie sich doch fragen, wann
und wie es geschehen würde... Jedenfalls fühlte er sich nicht bemüßigt, ihre Nerven mit Einzelheiten zu beschwichtigen.
»Sehr wohl, Mylord, D. O.« Mit schmalen Augen musterte Darrow das bleiche Gesicht und das zerzauste schwarze Haar seines Herrn. Erst im Morgengrauen war seine Lordschaft nach Hause gekommen. »Gestern Abend fand Lady Calumets Ball statt, nicht wahr?«
Geistesabwesend nickte South.
»Dann werde ich Ihre Arznei holen.« Der Kammerdiener wandte sich ab, wurde aber von einem erbosten Viscount zurückgerufen, der seine fünf Sinne inzwischen wieder beisammenhatte.
»Den Teufel werden Sie tun! Dieses Zeug brauche ich nicht.«
»Verzeihen Sie, Mylord, doch Sie sagen stets, dieses Getränk würde Ihnen helfen. Das liegt am Salz und den Tomatensamen, die das Gift des Alkohols bekämpfen.«
»Allein schon Ihr Gerede dreht mir den Magen um! Au ßerdem deuten Sie die Ursache meiner schlechten Stimmung völlig falsch«, fügte Southerton hinzu und winkte ungeduldig ab. »Der Ball war ziemlich langweilig.« In Wirklichkeit hatte er den Abend sehr amüsant gefunden. Wäre er besser gelaunt gewesen, hätte er seinem Kammerdiener davon erzählt.
Northams schöne Ehefrau hatte ihn zu Lady Calumet begleitet – einer der Gründe, warum der Abend von Anfang an außergewöhnlich verlaufen war. Inzwischen hatte Northam daheim Däumchen gedreht, in der Gesellschaft Easts und Wests, seiner hilfsbereiten Alibis. Dies alles hatte den Zweck, North bei der Suche nach dem berüchtigten Gentleman-Dieb zu helfen. Keine Sekunde lang hatte South gezögert, ihm seine Dienste anzubieten.
Ein Abend in der Gesellschaft der jungen Countess war einer weiteren Aufführung der französischen Farce im Drury Lane zweifellos vorzuziehen.
Beinahe hätte er im Haus der Witwe den geheimnisvollen Mann erwischt – nur um ihn dann auf dem Dach entkommen zu sehen. Natürlich wäre er ihm nachgeklettert. Aber seine Verantwortung für Elizabeth hatte ihn in den Ballsaal zurückgetrieben. Danach musste er den Spott seiner Freunde ertragen, die behaupteten, er habe befürchtet, einen Hemdsärmel zu zerreißen oder den Samtkragen seines Fracks zu beschmutzen. Das sei ihm wichtiger gewesen als die Festnahme des Verbrechers. Allein Elizabeth fand seinen Entschluss sehr vernünftig, eine Verfolgungsjagd über das Dach unterlassen zu haben.
Was würde sie sagen, wenn sie wüsste, wie tief er seine Entscheidung bedauerte? Nicht nur an sie hatte er dabei gedacht, obwohl er zu höflich war, um das zu erwähnen. Auch seine Sorge um Miss Parr hatte ihn zurückgehalten. Wäre er in die Rosenbüsche von Lady Calumet hinabgestürzt, könnte er India nicht mehr beschützen.
Letzte Nacht hatte er auch noch nichts von ihrem Arrangement mit dem mysteriösen Galan gewusst.
Aus den Augenwinkeln sah er den Kammerdiener immer noch in der Tür stehen. »Die Anzeige, Darrow!« Ungehalten presste er drei Fingerspitzen an seine Schläfe. »In der Gazette. Das ist alles, worum ich Sie vorerst ersuche. Erledigen Sie das selbst, da darf nichts schief gehen.«
»Natürlich, Mylord.«
»Darrow|...?«
»Ja, Mylord?«
»Wenn meine Kopfschmerzen innerhalb einer Stunde nicht verschwinden, werde ich diese Arznei vielleicht versuchen.«
Darauf gab der Diener keine Antwort. Wenn der Viscount glaubte, dies wäre seine eigene Idee, würde sich seine Laune hoffentlich bessern.
India presste eine Leinenserviette an den Mund, da eine heftige Übelkeit in ihr aufstieg. Neben ihrem Teller lag die
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