Glut der Gefuehle - Roman
vorteilhaft, denn sie bot ihr eine Gelegenheit, ihn ungeniert zu betrachten. Wäre er ein Liebhaber und würde er an ihrer Seite schlafen, würde sie ihn genauso beobachten – seine perfekten Wimpern, seine ruhigen Atemzüge... »Keine Sorge, das stört mich nicht.«
»Dann sind Sie die erste Person in meinem Bekanntenkreis, der diese Unart nichts ausmacht.«
»Offenbar kennen Sie zu viele intolerante Menschen, Mylord.«
»Da könnten Sie Recht haben, Miss Parr. Jedenfalls werde ich’s meinen Freunden sagen.«
Als sie die Hand ausstreckte, glaubte er, nun würde sie ihn berühren. Zu seinem Bedauern umfasste sie nur den Türgriff. »Diesmal wird der Fahrer warten, bis wir aussteigen. Begleiten Sie mich ins Haus, Sir?«
Obwohl er nichts lieber tun würde, ließen ihn seine Bedenken zögern. »Warten wir erst einmal ab, wie Mr Kent und sein Investor auf unsere leidenschaftliche Umarmung
in der Droschke reagieren. Wahrscheinlich wäre es ihren Zwecken nicht dienlich, wenn sie diesen pikanten Vorfall überall herumerzählten. Und wir beide sollten heimlich für unseren wechselseitigen Schutz sorgen. Das hatten Sie doch von Anfang an geplant, Miss Parr?«
Da musste sie ihm Recht geben, und sie versagte sich die Schwäche, sich anders zu besinnen. Wenn sie Southerton vor Dingen schützen wollte, die er nicht verstand – weil sie ihm nichts erklären konnte -, blieben ihr nur drei Möglichkeiten. Entweder musste sie ihn aus ihrem Leben verbannen oder ihm erlauben, in ihrer Nähe zu bleiben. Und die dritte Alternative wäre absolute Diskretion, damit der Eindruck entstand, er würde ihr nichts bedeuten.
Natürlich durfte er ihr nichts bedeuten! Nicht einmal dem Oberst zuliebe würde er sich mit einer Schauspielerin einlassen. Allein schon wegen ihres Berufs wurde sie schief angesehen. Eine Liaison mit ihr würde seinem Leumund natürlich nicht schaden. In der Achtung gewisser Kreise würde er sogar steigen. Nein, nicht er hätte sehr viel zu verlieren, sondern sie. Was immer Mr Kent seinen potenziellen Geldgebern auch versprechen mochte – India hatte sich noch nie kompromittiert. Kein Einziger der zahlreichen Männer, die ihre Garderobe besuchten, hatte ihre Gunst genossen.
Allmählich fand die Londoner Gesellschaft heraus, dass India Parr nicht in die Schablone passte, die man ihr zudachte. Selbst in den höchsten Kreisen, wo man die Nase oft so hoch trug, um seinen eigenen Gestank nicht riechen zu müssen, machte man ihr Zugeständnisse. Oh ja, sie hatte sehr viel zu verlieren!
»Warum runzeln Sie die Stirn, Miss Parr?«, fragte der Viscount. »Missfällt Ihnen meine Frage?«
Sie runzelte nicht nur die Stirn. In ihren Schläfen begann es schmerzhaft zu pochen, denn sie fürchtete um ihre verdiente Nachtruhe. »Erklären Sie mir, wie wir uns treffen sollen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, Mylord. Wenn uns das gelingt, müssen wir keine Droschken mehr mieten.«
Leise lachte er. »Wie sich herausgestellt hat, war auch das ein unsicheres Arrangement. Setzen Sie eine Anzeige in die Gazette. Unter welchem Namen wollen Sie sich melden?«
Sie dachte kurz nach. »Hortense?«
Da Hortense keine Figur war, die sie auf der Bühne darstellte, nickte er zustimmend. »Und ich benutze die Initialen D. O.«
»Was bedeutet das?«
»Ein Diener des Obersts.«
»Und dann?«
»Nun, dann komme ich zu Ihnen. Niemals umgekehrt.«
»Aber|...«
»So ist es am besten, Miss Parr.«
Weil ihr nichts anderes übrig blieb, stimmte sie zu. »Wie Sie wünschen, Sir.«
»Das ist kein Wunsch, sondern eine Notwendigkeit«, betonte er.
Widerstrebend nickte sie.
»Gut.« Schließlich gab es keinen Grund mehr, noch länger mit ihr in der Droschke zu sitzen. Mühsam bezwang South den Impuls, ihr die Hand zu küssen. »Auf Wiedersehen.«
India öffnete den Wagenschlag. »Auf Wiedersehen, Mylord.«
Wenige Sekunden später verschwand sie im Haus.
Zufrieden mit dem Abkommen, das sie getroffen hatten, versuchte er nicht mehr, India Parrs geheimnisvollen Gönner ausfindig zu machen. Aber er ließ sie von treuen Mitarbeitern beobachten.
Und dann traf ihn ein Artikel in der Times wie ein Schlag ins Gesicht:
Londons gefeierter Bühnenstar hat das Interesse eines Lord M. erregt, der kürzlich vom Kontinent nach England zurückgekehrt ist. Angeblich genießt sie seine Aufmerksamkeiten. Nun bleibt abzuwarten, wie lange ihre treuen Anhänger um die entschwundenen Hoffnungen trauern werden.
Lord M.? Verdammt, wer zum Teufel war Lord M.? In
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