Glut der Gefuehle - Roman
nachzuspionieren.
Als würden ihn diese Gedanken heraufbeschwören, schlenderte der Knabe plötzlich die Straße entlang. Die Hände tief in den Taschen vergraben, machte er einen weiten Bogen um den Laternenpfosten bei Indias Haustür. Dass Doobin nicht aus der Richtung gekommen war, die der Mietwagen eingeschlagen hatte, verwirrte South. Nach einem Blick auf die wenigen restlichen Maronentüten beschloss er, sein Tagewerk zu beenden. Er übergab seine Ware der dankbaren Blumenverkäuferin und sagte ihr, damit könne sie nach Belieben verfahren. Dann ging er ihm im gemessenen Schritt eines grauhaarigen älteren Mann nach.
Doobin näherte sich seinem Ziel auf Umwegen. Zwei oder drei Mal überquerte er die Straße oder bog in eine Seitengasse, als hätte er jemanden entdeckt, der ihn beobachtete. Daraufhin schaute sich auch South immer wieder um.
Schließlich wanderte Doobin vor einem Haus in der Carrick Street umher, und da erkannte South, was der
Junge beabsichtigte. Diesmal verschwand der Viscount selbst in einer Seitengasse, weil er vor der Ankunft seines Besuchers einige Vorbereitungen treffen musste.
Nachdem er seinem Hauspersonal befohlen hatte, den Knaben einzulassen und ihm in der Küche ein paar Süßigkeiten zu servieren, eilte South zu seinem Schlafzimmer, dicht gefolgt von seinem Kammerdiener. Darrow half ihm, die formlose Verkleidung abzulegen und einen eleganten Anzug auszuwählen. Anschließend bürstete er den Puder aus dem Haar seines Herrn.
Kurz bevor der Gast zur Bibliothek geführt wurde, saß der Viscount bereits hinter seinem Schreibtisch. Mit durchdringender Stimme als ›Master Doobin‹ angekündigt, zauderte der Junge, und der Butler musste ihn beinahe über die Schwelle schieben. Dann schloss Mr Parker blitzschnell die Tür, um dem verschreckten Burschen jeden Fluchtweg abzuschneiden.
Wie festgewurzelt stand Doobin da, bis Southerton vom vorgetäuschten Studium diverser Papiere aufsah.
Beim Anblick der Schokoladen- und Zuckerglasurreste rings um die Lippen des Besuchers unterdrückte er ein Lächeln. Offenbar hatte Doobin in der Küche herzhaft zugegriffen. »Möchtest du etwas mit mir besprechen, mein Freund?«
»Äh... ja, Mylord.«
»Worum geht es?« Mit einer brüsken Geste winkte South den Jungen näher zu sich. »Komm her, deinetwegen will ich meine Ohren nicht überanstrengen.«
Hastig eilte Doobin zum Schreibtisch, hielt aber auf halbem Weg inne. Die Augen übergroß in seinem schmalen Gesicht, versuchte er die luxuriöse Ausstattung der Bibliothek nicht anzustarren. »Erinnern Sie sich an mich,
Mylord? Vor einer Weile haben Sie mir Ihre Visitenkarte für Miss Parr gegeben. Vielleicht verwechseln Sie mich mit jemandem – weil mich der Gentleman vorhin Master Doobin nannte.«
Erneut bezähmte South sein Amüsement und musterte den Jungen scheinbar gleichmütig.
In Doobins Wangen stieg dunkle Röte. »Und dann habe ich eine Nachricht von Miss Parr in Ihren Klub gebracht.«
»Eine eindrucksvolle Schilderung unserer bisherigen Bekanntschaft«, meinte South trocken. »Wenn ich wieder einmal einen Boten brauche, werde ich dich sicher zu mir bestellen. Sonst noch etwas?«
Unbehaglich trat Doobin von einem Fuß auf den anderen. »Ich soll Ihnen was von Miss Parr ausrichten.«
»Tatsächlich? Von Miss Parr?« South lehnte sich in seinem Sessel zurück und überschlug die Beine. »Wie erstaunlich! Worte aus ihrem Munde?«
»Ja, Mylord. So wahr Gott und Mrs G. meine Zeugen sind.«
Mrs G.? Wer mochte das sein? Gottes Gemahlin? Dann erinnerte er sich an Mrs Garrety. Gott und Mrs Garrety, welch ein erlauchtes Paar hatte India Parrs Mitteilung gehört... »Also gut.« South verbarg seinen Ärger. Warum hatte sie keine Annonce in die Gazette gesetzt? So wie er es ihr aufgetragen hatte? »Also, was hat sie gesagt?«
»Heute Abend will sie sich mit Ihnen treffen, wenn’s Ihnen recht ist, Mylord. Nach der Vorstellung.«
»Im Theater?«
Entschieden schüttelte Doobin den Kopf. »Wie üblich wird sie eine Droschke mieten, und Sie sollen im Park ihren Weg kreuzen.«
»Ich verstehe.« Natürlich verstand South das nicht . Allmählich gewann er den Eindruck, er würde eine Rolle in einer von Indias Farcen spielen, die aus der Feder eines gewissen Oberst John Blackwood stammte. »Also wird sie... im Park meinen Weg kreuzen.« Die Augen zusammengekniffen, musterte South den Jungen. »Hat vielleicht jemand anderer diese Worte in Miss Parrs Mund gelegt? Zum Beispiel Mr Kent? Oder
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