Glut der Gefuehle - Roman
Lord Macquey-Howell?«
»Mr Kent? Oh nein! Als Miss Parr mir diesen Auftrag erteilte, war sie daheim. Sie wollte gerade zu ihrer Probe ins Drury Lane aufbrechen. Heute Morgen rannte ich zu ihr, um ihr zu sagen, sie solle schon früher ins Theater kommen. Da war vielleicht was los! Dauernd jammerte Mrs Garrety, weil Miss Parr zu wenig Schlaf bekäme. Die war auch gerade im Haus. Und Miss Parr entschuldigte sich, weil sie keine Zeit mehr für meinen Unterricht fand. Ich wartete, weil ich hoffte, ich dürfte in der Droschke mitfahren. Und dann erinnerte sich Miss Parr an diese Nachricht für Sie.« Doobin zuckte die Achseln. »Und hier bin ich.«
»In der Tat. Bist du sofort hierher gekommen?«
Bevor Doobin antwortete, überlegte er kurz. »So schnell, wie’s erforderlich war, Mylord.«
South dachte an Doobins Umwege. Welche Anweisungen mochte India dem Jungen gegeben haben? »Offenbar vertraut sie dir rückhaltlos.«
»Oh ja, Mylord«, bestätigte Doobin voller Stolz.
»Erteilt sie dir oft solche Aufträge?«
»Wann immer es nötig ist, nehme ich an. Einer so berühmten Dame fällt’s nicht leicht, irgendwas unbemerkt zu unternehmen. Und sie möchte möglichst wenig auffallen. Deshalb will sie vermeiden, dass sich irgendwer an
meine Fersen heftet. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ja, ich denke schon. Ist dir auf dem Weg zu meinem Haus jemand gefolgt? Hast du etwas bemerkt?«
»Nein. Oder doch... da war ein Kerl, aber den konnte ich ganz leicht abschütteln.«
Beinahe hätte sich der Viscount geräuspert. Redete der Junge etwa von ihm ? »Und?«
»Also, den bin ich losgeworden. Wenn’s der alte Knabe drauf angelegt hat, mir nachzuspionieren – er konnte unmöglich mit mir Schritt halten.«
Diesmal musste Southerton seine Belustigung durch ein Husten überspielen. Würden der Oberst und seine Freunde glauben, der raffinierte kleine Schlingel hätte ihn überlistet? »Sicher weiß Miss Parr deine Dienste zu schätzen.«
»Oh ja, Mylord, und sie ist sehr gut zu mir.«
Wenn South das Erröten des Jungen richtig deutete – und daran zweifelte er nicht -, erlebte Doobin gerade seine erste unerwiderte Leidenschaft. Inständig hoffte der Viscount, India würde dem armen Kind nicht das Herz brechen. »Und ihr Beschützer?«
»Wie bitte, Mylord?«
Southerton beugte sich vor und flüsterte dem Knaben wie einem gleichrangigen Vertrauten zu: »Reden wir doch offen miteinander. Sicher hast du die Gerüchte vernommen, nicht wahr? Miss Parr genießt die Aufmerksamkeiten eines gewissen Lords.«
Verächtlich schüttelte Doobin den Kopf. »Klar, dieses Gerede habe ich gehört. Angeblich hat sie einen Liebhaber, aber das stimmt nicht.«
Da South diese Meinung teilte, war er voreingenommen und glaubte dem Jungen. »Wie kannst du so sicher sein?«
»Weil ich keinen Liebhaber gesehen habe.«
»Weder Macquey-Howell noch Montrose?«
»Die kenne ich beide nicht, Mylord.«
»Und warum solltest du das? Du bist wohl kaum allen ihren Freunden begegnet.«
» Sie kenne ich doch ebenfalls, Mylord«, erwiderte Doobin mit unwiderlegbarer Logik.
»Morris? Mapple?«
»Diese Namen habe ich mal gehört. Aber niemals von Miss Parr. Und ich musste ihnen auch keine Nachrichten bringen, im Gegensatz zu Ihnen und...«
»Und?« Der Viscount spürte South, dass es dem Jungen widerstrebte, noch mehr auszuplaudern. Mühsam mahnte sich South, Geduld zu haben.
Als Doobin endlich antwortete, sprach er so leise, dass der Hausherr ihn kaum verstand. »Nun, da war ein Mr Kendall.«
Sobald die gedämpften Schritte auf dem Teppich des Flurs erklangen, legte India ihr Buch beiseite. Lautlos wurde die Tür geöffnet, und ein ganz leichter Luftzug ließ die Flammen im Kamin flackern. Ohne auf eine Einladung zu warten, trat Margrave ein.
»Er war nicht da. Also hast du ihn gewarnt, India.«
»Nein. Du weißt, das wäre unmöglich gewesen.«
»Dann hat’s der Junge getan.«
»Unsinn!«, rief India. Erfolglos versuchte sie, ihre Bestürzung zu verbergen. »Das konnte er gar nicht. Überleg doch, Margrave! Welchen Verdacht sollte Doobin hegen? Ich verhielt mich genau so, wie du es wolltest. Wenn Southerton nicht in den Park kam, muss es daran liegen, dass er mir misstraut. Jedenfalls wirst du dem Jungen nichts antun. Hast du mich verstanden?«
Er schritt auf sie zu, umfasste ihr Kinn und riss es empor. Herausfordernd erwiderte sie seinen Blick. Der rebellische Zug um ihre sinnlichen Lippen störte ihn nicht im Mindesten. Für ihn
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