Glut der Gefuehle - Roman
würde sich natürlich nur für das Geld Seiner Lordschaft interessieren. Doch der Vater war nicht so leichtfertig, dass er es versäumen würde, derart wichtige Fragen zu stellen.
Southerton schwankte unter dem Gewicht der bewusstlosen India. »Keine Drogen. Und wir fahren nicht nach Gretna. Außerdem ist die Dame meine Gemahlin.« Nachdem er etwas mühsam aus der Kutsche gestiegen war, fiel es ihm leichter, India zu tragen. »Gehen Sie voran«,
befahl er dem Wirt, der in einer Hand eine Laterne und in der anderen den Samthut hielt. »Mein Diener wird sich um das Gepäck kümmern.«
Vom Kutschbock aus hörte man Darrow einen gemurmelten Fluch ausstoßen. Der Viscount hatte seinem Kammerdiener befohlen, als Fahrer zu fungieren, nachdem Miss Parr aus der Droschke in den Landauer Seiner Lordschaft verfrachtet worden war. Obwohl Darrow solche Machenschaften missbilligte, fügte er sich in sein Schicksal.
»Hier entlang.« Die Laterne in der erhobenen Hand, führte der Wirt die Neuankömmlinge in den Gasthof. Um diese späte Stunde saßen nur wenige Leute an den Tischen, ausnahmslos Einheimische. Verblüfft hielten sie Maulaffen feil, während South die offenbar bewusstlose Frau durch den Schankraum zur schmalen Treppe trug. Nachdem Brinker den anderen Gästen einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte, wandten sie sich hastig ab. »Die sind’s nicht gewöhnt, so eine Dame zu sehen«, flüsterte er Seiner Lordschaft zu.
Was der Mann damit meinte, wusste South nicht. Doch er verlangte keine Erklärung, weil er seinen Atem für den schwierigen Aufstieg brauchte. Immer noch ohnmächtig, lag India bleischwer in seinen Armen. Um die mühsame Aufgabe zu bewältigen, gab es bloß eine einzige Möglichkeit, und deshalb hob er India über seine Schulter.
Das Zimmer war klein, aber sauber. Beflissen schlug Mr Brinker das Bett auf und beteuerte, die Laken seien frisch gewaschen und die Decken eben erst gelüftet worden. Während South seine Last auf die Matratze legte, erschien Miss Annie Brinker mit frischem Wasser für die Waschschüssel. Innerhalb weniger Sekunden erfasste sie die Situation, enthielt sich jedoch eines Kommentars.
»Keine Bange, sie ist weder tot noch mit Drogen voll gepumpt«, wisperte Brinker seiner Tochter zu. Da er bestenfalls zu einem Bühnenflüsterton fähig war, hörte South seine Worte. Sogar bis zu Darrow drangen sie hinaus, der auf den Stufen mit dem Gepäck kämpfte. »Und sie ist seine Frau«, fügte der Gastwirt hinzu.
Achselzuckend stellte Annie den Krug auf den Nachttisch, schürte das Feuer im Kamin und fragte, ob die Herrschaften noch etwas brauchten.
Am liebsten hätte South die beiden sofort weggeschickt. Aber vielleicht würde Miss Parr eine Stärkung benötigen, wenn sie zu sich kam, und so bat er um Tee oder eine heiße Brühe und einen Imbiss für seinen Diener. Mit dem letzteren Anliegen schien er Annies Unmut zu erregen. Doch da Darrow gerade einen Koffer sowie eine Truhe ins Zimmer schleppte und erbärmlich keuchte, gab sie sich seufzend geschlagen.
»Wahrscheinlich haben Sie eine Eroberung gemacht, Darrow«, bemerkte South, sobald sich die Tür hinter Brinker und dem Mädchen geschlossen hatte.
»Was? Meinen Sie die Tochter des Wirts?«
»Ist sie seine Tochter? Das wusste ich nicht. Nun müssen Sie nur noch bei Brinker, dem stolzen Vater, um ihre Hand anhalten.«
Ohne die geringste Belustigung zu verspüren, schnitt Darrow eine Grimasse. Dann begann er den Koffer und die Truhe Seiner Lordschaft auszupacken.
South zog seinen Mantel aus und warf ihn über einen Stuhl. Prompt hängte sein Kammerdiener das edle Kleidungsstück an einen Wandhaken und wartete geduldig.
»Eigentlich hatte ich eine gewisse Gegenwehr von der Dame erwartet«, sagte South im Konversationston. »Bei Entführungen ist das normalerweise üblich«, fügte er hinzu,
öffnete die Messingknöpfe der Pelisse und streifte sie von Indias Schultern.
»Haben Sie auf diesem Gebiet etwa einschlägige Erfahrungen, Mylord?«, erkundigte sich Darrow. »Das ist mir neu.«
»Manchmal hört man solche Geschichten«, entgegnete South und übergab ihm die Pelisse. »Meines Wissens kommt es äußerst selten vor, dass eine Entführung so reibungslos verläuft.«
»Die Ruhe vor dem Sturm?«
»Vielleicht.« South berührte Indias bleiche Wange. Dann tasteten seine Fingerspitzen nach dem schwachen Puls in ihrer Schläfe. Ihre Haut fühlte sich kühl an. Unter den Augen lagen violette Schatten. Als er eine Decke über
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