Glut der Gefuehle - Roman
eigenartigen scharfen Geschmack wahr. Das Getränk war nicht vollends erkaltet.
Vor dem Fenster zuckte ein greller Blitz, gefolgt von gewaltigem Donnergrollen, das die Glasscheiben erzittern ließ. Das Gewitter jagte ihr keine Angst ein. Ganz im Gegenteil, sie fand es sogar seltsam tröstlich. »Regnet es schon lange?«
»Das weiß ich nicht. Bei unser Ankunft hat das Unwetter noch nicht begonnen.«
»Wann ist das gewesen?«
Darauf gab er keine Antwort. Wenn er ihr den Zeitpunkt nannte, würde sie abschätzen, wie weit sie von London entfernt waren.
»Ich verstehe«, sagte sie, weil sie den Grund seines Schweigens erraten hatte. »Das könnte ich leicht von jemandem erfahren.«
»Vielleicht. Aber ich hoffe bald abzureisen. Und dann würde es keine Rolle mehr spielen.«
»Bei diesem Wetter wollen Sie losfahren?«
»Ja, wahrscheinlich hört es nicht so bald zu regnen auf.«
India nahm wieder einen Schluck Tee. »Also bin ich Ihre Gefangene?«
Langsam drehte er den Kopf zu ihr. Sie starrte die gegenüberliegende Wand an, und ihre Miene erschien ihm nicht allzu besorgt – eher resignierend. »Offen gestanden wäre es mir lieber, Sie würden sich als meinen Gast betrachten.«
Sie lächelte sanft. »Gewiss, natürlich würden Sie das vorziehen. Aber für mich ist es unmöglich.«
Zweifellos hatte sie Recht, denn sie konnte nicht kommen und gehen, wie es ihr gefiel. South sah ihr Lächeln erlöschen. »Was denken Sie?«
»Auch ein goldener Käfig unterscheidet sich kaum von den anderen.«
Sechstes Kapitel
Fasziniert studierte South Indias Profil. Es wäre feige gewesen sich abzuwenden. Immerhin trug er die Schuld an der Wehmut, die ihr Lächeln verscheucht hatte. Statt ihm bittere Vorwürfe zu machen, akzeptierte sie ihr Schicksal. Und sie hoffte auch nicht, ihre Fügsamkeit würde ihn milde stimmen und ihn dazu bewegen, seine Pläne zu ändern.
»Was wissen Sie von Käfigen, Miss Parr?«
»Sehr viel«, entgegnete sie, ohne ihn anzuschauen.
South erwartete, sie würde die knappe Antwort näher erläutern. Sie trank jedoch lediglich ihren Tee, und er sah die weißen Fingerspitzen, die sich an die Tasse pressten.
»Nennen Sie mich India«, sagte sie schließlich. »Die respektvolle Anrede ›Miss Parr‹ scheint in dieser Situation ziemlich unsinnig.«
Mit diesen Worten gab sie ihm zu verstehen, wie respektlos er sie behandelt hatte. »Also gut – India. Wieder einmal beweisen Sie Ihr einzigartiges Talent, mich zu maßregeln.«
Über der Teetasse verzogen sich ihre Lippen zu einem dünnen Lächeln. »Wäre Ihnen ein Faustschlag auf Ihr Kinn angenehmer?«
»Oh ja.«
Das meinte er ernst, daran zweifelte sie nicht, und auch
seine hochgezogenen Brauen bekundeten dies deutlich genug. »Was für ein entnervender Mensch Sie sind...«
»Darauf weist mich meine Mutter regelmäßig hin. Und meine Schwester. Gelegentlich mein Vater. Auch jeder Einzelne meiner Freunde.« Was ihn nicht sonderlich zu stören schien...
»Wissen Sie, das ist kein Kompliment.«
»Aber so habe ich es aufgefasst.«
Sie bemühte sich nicht, ihren Lachreiz zu bezwingen. »Ja... ein entnervender Mensch«, wiederholte sie etwas sanfter. Beinahe klangen die Worte wie eine Liebkosung, und India schaute rasch weg.
Nachdem South seine Tasse geleert hatte, gab er sie ihr mit der Bitte, sie auf den Nachttisch zu stellen. Dann schwang er die langen Beine über den Bettrand, ergriff den Morgenmantel, der am Fußende lang, und schlüpfte hinein. Darrow hatte Pantoffeln bereitgestellt. Die ignorierte der Viscount, dankbar für den kalten Boden, der die Hitze in seinem Körper kühlte – wenn auch nur ein unzulänglicher Ersatz für den eisigen Regen, dem er sich gern ausgesetzt hätte. Aber falls er das Fenster öffnete, würde India sicher frieren.
»Was wissen Sie über die Ereignisse des gestrigen Abends?«, fragte er betont gleichmütig. »Woran erinnern Sie sich?«
»Ich hatte schreckliches Kopfweh und nahm einen Löffel Laudanum|... Nein, das bot Mrs Garrety mir an, und ich lehnte es ab. In der Garderobe war es furchtbar warm, und das Licht schmerzte in meinen Augen. Doobin kam zu mir und fragte|... Ich weiß nicht mehr, was er wollte|... Dann holte Mrs Garrety eine Droschke für mich|...«
»... und begleitete Sie hinaus«, ergänzte South.
»Wieso wissen Sie...? Oh, da stand jemand... Das waren Sie, Mylord. Ich erkannte Sie nicht.«
»Sonst hätten Sie geschrien und Aufsehen erregt.«
Das bestritt sie nicht. »Ist Mrs Garrety
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