Glut der Herzen - Roman
Fahrgäste.
»Wir nehmen noch ein spätes Abendessen zu uns«, sagte Pierce. »Leisten Sie uns Gesellschaft?«
»Das würde ich zu gern, aber ich fahre besser nach Hause«, sagte Adelaide. »Ich brauche meinen Schlaf, da ich das Gefühl habe, dass Mr Winters morgen zu unchristlich früher Zeit kommen wird. Er kann es kaum erwarten, mit seinem Projekt anzufangen.«
»In einem hat Winters recht«, sagte Pierce leise. »Sie spielen mit dem Feuer, wenn Sie weiterhin diese Überfälle inszenieren. Ihr Ziel mag bewundernswert sein, aber was soll aus den Mädchen werden, die Sie bis jetzt retten konnten, wenn Luttrells Killer Sie umbringen? Wer wird das Heim und Ihre Akademie finanzieren, wenn man Ihnen die Kehle durchschneidet?«
Eine Lektion zu diesem Thema ist das Allerletzte, was ich jetzt brauchen kann, dachte Adelaide.
»Ich bin mir der Risiken bewusst«, entgegnete sie.
Adam seufzte blasiert. »Alle können Sie ja doch nicht retten. Solange es Armut und Verzweiflung gibt, wird es Mädchen geben, die einen Ausweg daraus suchen.«
»Glauben Sie, mir wäre das nicht klar?«, flüsterte Adelaide.
»Die Überfälle sind für die Sensationspresse ein gefundenes Fressen«, sagte Pierce. »Aber Sie könnten mehr Mädchen retten, wenn Sie auf den Straßen für Ihr Heim und die Akademie werben.«
Adelaide wollte widersprechen, doch ihr war klar, dass sie realistisch gesehen auf Dauer keine Chance hatte. Vielleicht hatten Pierce und Adam recht, und sie hatte ihr Glück bereits zu lange strapaziert.
»Ich will es mir überlegen«, versprach sie.
Pierce nickte befriedigt. »Wie ich sehe, hat Ihr Kutscher Sie gefunden. Er steht auf der anderen Straßenseite und winkt heftig. Wir wünschen Ihnen eine gute Nacht.«
Adelaide blickte in die von Pierce gezeigte Richtung und sah den Fahrer und Wagen, die sie für diesen Abend gemietet hatte.
»Gute Nacht«, verabschiedete sie sich. Ihren Mantel um sich raffend drängte sie sich durch die Menge.
Endlich trat sie aus dem Theater ins Freie. Sie hätte erleichtert sein sollen, von dem beengenden, leicht nervenden Gefühl befreit zu sein, das sie den ganzen Abend bedrückt hatte. Doch ihre Sinne waren jetzt erregter als zuvor. Im amerikanischen Westen hätte sie sich mit einem Blick über die Schulter vergewissert, ob hinter ihr ein Berglöwe, eine Klapperschlange oder ein Bewaffneter lauerte. Aber sie befand sich in London, und sie war von ehrbaren, elegant gekleideten Menschen umgeben. In London trugen ehrbare Bürger keine Waffen. Bis auf sie selbst natürlich.
Vielleicht stand ihr Unbehagen mit ihrem Versprechen in Verbindung, die brennende Lampe für Griffin Winters zu aktivieren. Es war für sie beide mit Sicherheit ein gefährliches
Experiment. Ihre Intuition warnte sie, dass ein Fehler ihrerseits verheerende Folgen haben konnte.
Wäre ich einigermaßen bei Vernunft, würde ich die Finger davon lassen. Sollte er doch eine andere Traumlicht-Deuterin finden.
Doch sie hatte die Wahrheit gesagt, als sie ihm eröffnete, er würde wahrscheinlich kein anderes Talent finden, das das Traumlicht so handhaben und kontrollieren konnte wie sie. Schickte sie ihn auf die Suche nach jemandem, der mit der Lampe umgehen konnte, lieferte sie ihn praktisch seinem Schicksal aus.
Das hat er gewusst, dachte sie. Und doch hatte er ihr Haus verlassen, ohne auf ihre Bedingungen einzugehen. So viel Mut nötigte ihr Bewunderung ab, selbst wenn ihr diese Eigenschaft in Gestalt eines Schurken begegnete. Sie kannte viele Gentlemen, die sich unter denselben Umständen nicht so vornehm verhalten hätten.
Unsinn. Sie durfte sich nicht irgendwelchen romantischen Fantasien hingeben. Griffin Winters war nicht aus dem Haus gegangen, weil seine tapfere Natur es ihm eingab. Die Wahrheit war, dass sie geblufft hatte.
Sie fand, dass ihr das recht geschah. Sie durfte nicht zulassen, dass er sie manipulierte. Sie würde wie besprochen die Lampe für ihn aktivieren, doch sie würde nicht zulassen, dass er wieder an ihr Mitgefühl rührte. Vor allem aber durfte er nicht merken, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Er würde dieses Wissen rücksichtslos gegen sie verwenden.
Sie bahnte sich einen Weg durch eine Schar schwatzender würdiger Matronen, die auf ihre Wagen warteten, und
wollte die Straße überqueren. Ihre Beklemmung wuchs. Inmitten vieler Menschen setzte sie ihr Talent nur selten ein. Erstens war an einem öffentlichen Ort das Pflaster mit unzähligen verstörenden Spuren übersät. Dazu kam
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