Glut der Herzen - Roman
die Griffin aus dem Keller mitgenommen hatte, ehe sie sich in den unterirdischen Tunnel retteten.
Er sah, dass Adelaide die Idee mit dem Wein erheiternd fand.
»Es ist wie Zauberei«, sagte sie und blickte ihn über den Rand ihrer Brille mit blitzenden Augen an. »Eine Flasche Wein genügt, um unser kleines Abenteuer in ein Picknick zu verwandeln. Wie bist du nur auf die Idee gekommen, sie mitzunehmen?«
»Ich habe Erfahrung in diesen Dingen«, erklärte er. »Ein Versteck aufsuchen zu müssen ist nie bequem, doch es besteht keine Notwendigkeit, diesen Vorgang völlig unzivilisiert ablaufen zu lassen.«
»Das muss ich mir merken.«
Sie legte ein Stück sauer eingelegtes Gemüse auf ein kleines Käsedreieck, tat beides auf ein Stück Brot und biss hinein.
Er beobachtete sie einen Moment ganz hingerissen. Tief in seinem Inneren reagierte etwas auf ihren Appetit. Ihre Nähe genügte, um ihn zu erregen. Und trotz aller Aufregung
ließ ein Teil seines Bewusstseins immer wieder die Erinnerung daran wach werden, wie es sich angefühlt hatte, als sie weich, warm und glühend in seinen Armen gelegen hatte.
»Mir fällt auf, wie gut du dich an diese armselige Umgebung anpasst«, sagte er. »Viele Ladys hätten längst nach ihrem Riechsalz verlangt.«
Sie lächelte. »Genau wie du habe ich einige Erfahrung auf diesem Gebiet. Meine Unterkünfte waren oft sehr spartanisch.« Sichtlich befriedigt blickte sie um sich. »Wir haben immerhin ein Dach über dem Kopf und eine Toilette.«
»Was hast du erwartet?«
Sie zog eine Schulter lässig hoch. »Vielleicht eine Höhle oder einen verlassenen Keller.«
»Warum hast du jemals ein Versteck gebraucht?«
»Es ging meist nicht ums Verstecken«, sagte sie mit nachdenklicher Miene. »Meist ging es darum, im Schutz der Dunkelheit einen Ort in aller Eile zu verlassen. Ich muss gestehen, dass es zumindest bei einer denkwürdigen Gelegenheit ganz meine Schuld war.«
Er griff nach dem Messer und schnitt noch eine Scheibe Brot ab. »Die Geschichte möchte ich hören.«
»Meine erste Stelle hatte ich als Assistentin eines Mediums, einer gewissen Mrs Peck.«
»Mit den Toten zu sprechen ist unmöglich.« Er biss von seinem Brot ab. »Daher gibt es keine echten Medien.«
»Ja, das weiß ich. Aber du würdest dich wundern, wie viele Menschen an die Existenz dieser Fähigkeit glauben. Der Kontakt mit der Geisterwelt ist ein sehr einträgliches
Geschäft. Ich lernte Mrs Peck auf der Überfahrt nach New York kennen und fing als ihre Assistentin an, bis sie merkte, dass ich tatsächlich ein angeborenes paranormales Talent besaß. Sofort änderte sie die Werbung und die ganze Nummer, und aus mir wurde die Geheimnisvolle Zora. «
»Ein guter Bühnenname.«
»Das dachte ich auch. Den Namen verdanke ich einem Groschenroman. In der Folge lieferte ich erstaunliche Demonstrationen meines psychischen Talents und empfing für ein stattliches Entgelt auch Kunden zu Privatsitzungen, in deren Verlauf ich ihr Traumlicht analysierte und ihnen gute Ratschläge gab. Ich war sehr gut, beging aber manchmal einen im Showgeschäft fatalen Fehler und sagte den Leuten Dinge, die sie gar nicht hören wollten.«
Er griff zum Käse. »Das ist in jedem Beruf ein Fehler.«
»Das musste ich auf die harte Tour lernen. Einer Klientin, deren brutaler Mann sie schon mehrmals geschlagen hatte, sagte ich voraus, dass er sie eines Tages in einem Wutanfall töten würde, und riet ihr, ihn sofort zu verlassen und zu verschwinden. Als die Frau meinen Rat befolgte und davonlief, gab ihr Mann mir die Schuld, sodass Mrs Peck und ich es für ratsam hielten, die Stadt auf schnellstem Weg zu verlassen.«
»Hat der Mann versucht, euch zu verfolgen?«
»Dazu war er nicht in der Lage. Nach der letzten Vorstellung griff er mich an, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als ihn in einen tiefen Schlaf zu versetzen, wobei sein Verstand wohl zu stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. In meiner großen Angst muss ich mehr Energie aufgewendet
haben als nötig, denn als er wieder zu sich kam, nahm man an, er hätte einen Schlaganfall erlitten. Er hat sich nicht wieder erholt.«
»Und die Frau?«
Adelaide lächelte fast unmerklich. »Ich glaube, sie kam zurück, um dafür zu sorgen, dass ihr armer, ans Bett gefesselter Mann bis zu seinem raschen Tod anständig gepflegt wurde. Er brauchte zehn Tage, um das Zeitliche zu segnen. Die Dame könnte ein wenig nachgeholfen haben, mit einer Prise Arsen etwa. Nach seinem Ableben konnte sie
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