Glut der Herzen - Roman
schritt er in das vom Mond erhellte Gewirr von engen, gewundenen Straßen hinein. Ehe er in eine Gasse einbog, blieb er an der Ecke stehen und warf einen Blick zurück.
Der Wagen war nur noch ein Schatten im Nebel. Jeds drahtige Gestalt auf dem Kutschbock war undeutlich zu erkennen. Adelaide war im dunklen Wageninneren nicht auszumachen, er wusste aber, dass sie ihn beobachtete.
Sie beobachtet mich, als läge ihr meine Sicherheit wirklich am Herzen. Die Sicherheit eines Gangsterbosses .
Weibliche Weltverbesserer, dachte er, sie besitzen keinen Funken gesunden Menschenverstand.
38. KAPITEL
Die Kälte tödlicher Energie war erst so schwach, dass Adelaide sie fast nicht bemerkt hätte. Ihr erster Gedanke war, dass die Temperatur um ein paar Grade gefallen war. Automatisch schlug sie den hohen Kragen ihres Herrenmantels hoch.
Die Klappe im Wagendach stand offen, sodass sie mit Jed sprechen konnte.
»Frieren Sie da oben, Jed?«, fragte sie leise. »Auf dem Sitz liegt eine Decke. Möchten Sie die?«
Keine Antwort. Bis vor wenigen Minuten hatten sie und Jed sich unterhalten, nur spärlich, aber ungezwungen. Schließlich verband sie die Sorge um Jeds Arbeitgeber.
Wieder zerrte ein Schwall unheimlich kalter Energie an ihren Nerven. Wie ein Geruch, der einem vor langer Zeit in die Nase gestiegen war, und der nun Erinnerungen weckte.
»Jed?«
Er gab keine Antwort.
Sie erhob sich, kniete sich auf den Sitz und griff durch die Klappe, um Jeds Arm zu berühren. Als sie seinen Ärmel spürte, versengte ein elektrisierender Schock ihre bereits gesteigerten Sinne. Jed saß starr und steif auf dem Kutschbock, als wäre er erfroren.
Erschrocken riss sie die Finger wie von einem heißen Ofen weg.
Mit dem nächsten Herzschlag schrillte ihre Intuition. Sie wusste mit Sicherheit, dass Jed dem Tod nahe war, dass er sterben würde, wenn sie den grässlichen Strom, der seine Sinne vereiste, nicht ausschalten konnte.
Sie zog einen Handschuh aus, biss die Zähne zusammen und steigerte ihr Talent, ehe sie wieder durch die Öffnung nach oben griff. Sie bekam Jeds steifen Arm zu fassen. Das schwere Tuch seines Mantels dämpfte die Gewalt der Todesenergie ein wenig.
Sie zerrte an seinem Arm und schaffte es, seine Hand hinter seinen Rücken zu ziehen, sodass sie diese erreichen konnte. Sie streifte seinen dicken Handschuh ab und verschränkte ihre Finger mit seinen. Seine raue Handfläche war kalt wie ein Grab.
Die Energiewellen, die Jed durchschossen, überfluteten nun ihre Sinne und ließen ihr Blut gefrieren.
Die Strömungsstrukturen waren im Laufe der Jahre immer verzerrter und unregelmäßiger geworden, doch sie hätte sie überall erkannt. Mr Smith ist jetzt stärker, dachte sie, viel stärker, als in jener Nacht im Bordell.
Aber auch sie war inzwischen viel stärker. Mit fünfzehn hatte sich ihr Talent erst herausgebildet. Es war das Frühstadium gewesen, als sie gelernt hatte, wie man Traumlicht beherrschte und handhabte. Heute aber kämpfte sie mit der vollen Stärke ihrer reifen, verfeinerten Kraft um Jeds Leben.
Die Kälte übertraf alles, was sie je erlebt hatte. Sie kreiste in ihr und ließ sie von innen her gefrieren. Kein Feuer
vermochte sie zu erwärmen. Die Wellen eisiger Energie waren erbarmungslos. Einziger Ausweg wäre es gewesen, Jeds Hand loszulassen, doch das war ausgeschlossen. Ließ sie Jed los, würden die tödlichen Strömungen ihn mit sich reißen.
In einem verzweifelten Versuch, das Schema zu zerreißen, ließ sie ihr heißes Traumlicht direkt in die eisigen Wellen strömen. Ihre Sicht war durch die schmale Öffnung der Klappe behindert, sie wusste aber, dass der Mörder irgendwo in der Nähe stand. Psychische Energie konnte nicht über einen Radius von fünfzehn oder zwanzig Fuß hinaus wirksam werden. Auch konnte man sie auf diesem hohen Level nicht lange halten. Nur einige Minuten, dachte Adelaide. Sie musste Jed nur noch ein paar Minuten festhalten.
Jed durchlitt einen die ganze Seele erschütternden Albtraum, und sie hatte keine andere Wahl, als ihn mit ihm zu durchleben.
39. KAPITEL
Der Leichnam lag in einer Pfütze gelben Laternenlichts. So viel zu den Informationen, die er hier hatte bekommen wollen. Wenigstens lieferte der Mord ihm nun die Erklärung für die wachsende Woge des Unbehagens, die er verspürte, seitdem er Adelaide im Wagen zurückgelassen hatte. Zunächst hatte er sich eingeredet, es handle sich um eine harmlose Nervosität, da er Adelaide nur mit schlechtem Gewissen aus den
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