Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
Zwang!«
»Ich habe sie zu nichts genötigt.«
»Natürlich habt Ihr das«, sagte Harrow verächtlich. »Ihr habt sie mit roher Gewalt verschleppt. Und da sie eine Frau ist, hält sie die Sache für aufregend und romantisch. Frauen lassen sich zu fast
allem überreden. Und irgendwann einmal, wenn sie im Kindbett unter unvorstellbaren Schmerzen stirbt, wird sie Euch noch nicht einmal die Schuld geben. Aber Ihr werdet wissen, dass Ihr für ihren Tod verantwortlich seid.« Ein barsches Lachen stahl sich aus seiner Kehle, als er Kevs entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte. »Seid ihr wirklich so einfältig gestrickt, dass Ihr mich nicht versteht?«
»Ihr glaubt, Sie sei zu schwach, um Kinder zu gebären«, sagte Kev. »Doch sie hat einen weiteren Arzt in London aufgesucht, der ihr …«
»Ja. Hat Winnifred Euch auch den Namen des Arztes verraten?« Harrows Augen waren frostgrau, sein Ton spröde vor Hohn.
Kev schüttelte den Kopf.
»Ich habe natürlich nachgefragt«, sagte Harrow triumphierend. »Und wusste sofort, dass sie den Namen erfunden hat. Eine Täuschung. Aber nur zur Sicherheit habe ich das Verzeichnis sämtlicher Londoner Ärzte überprüft. Der Name tauchte nicht auf. Sie hat gelogen, Merripen.« Harrow fuhr sich aufgebracht durchs Haar und schritt im Zimmer auf und ab. »Frauen sind so verschlagen wie Kinder, wenn es darum geht, ihren Willen durchzusetzen. Gütiger Himmel, Ihr seid wirklich leicht zu manipulieren, nicht wahr?«
Kev war sprachlos. Er hatte Win geglaubt, einfach aus dem Grund, weil sie eigentlich noch nie gelogen hatte. Soweit er es beurteilen konnte, hatte sie ihn nur ein einziges Mal hintergangen: Als sie ihn durch einen geschickten Trick dazu gebracht hatte, bei seiner Verbrennung das Morphium einzunehmen. Später hatte er verstanden, warum sie es getan
hatte, und ihr auf der Stelle verziehen. Aber wenn sie einmal gelogen hatte … Seelenqualen brannten wie Säure in seinem Blut.
Jetzt kannte er den wahren Grund, weshalb Win so widerwillig zurückgekommen war.
Harrow blieb vor dem Tisch in der Bibliothek stehen und lehnte sich schwer dagegen. »Ich will sie trotzdem«, sagte er ruhig. »Ich bin immer noch gewillt, sie zurückzunehmen. Für den Fall, dass sie nicht schwanger ist.« Er brach ab, als Kev ihn mit einem tödlichen Blick durchbohrte. »Oh, Ihr mögt mich jetzt finster anstarren, doch Ihr könnt die Wahrheit nicht leugnen. Seht Euch an … wie könnt Ihr Euer Tun vor Euch selbst rechtfertigen? Ihr seid ein dreckiger Zigeuner, der wie Euer restliches Gesindel von hübschem Tand angezogen wird.«
Harrow beobachtete Kev genau, während er fortfuhr: »Ich bin sicher, dass Ihr sie auf Eure Art liebt. Nicht auf eine kultivierte Art, so wie sie es wahrhaft bräuchte, aber eben so sehr, wie es jemandem Eures Schlags möglich ist. Ich finde das rührend. Und gleichzeitig erbärmlich. Zweifellos glaubt Winnifred, dass Ihr aufgrund Eurer gemeinsam verbrachten Kindheit einen größeren Anspruch auf sie habt als jeder andere Mann. Doch sie ist zu lange vor der Wirklichkeit beschützt worden. Sie verfügt weder über das Wissen noch die Erfahrung, um ihre eigenen Bedürfnisse zu kennen. Wenn sie Euch heiratet, ist es nur eine Frage der Zeit, bevor sie Eurer überdrüssig wird und nach mehr verlangt, was Ihr Win dann nicht bieten könnt. Sucht Euch eine dralle Bauerntochter, Merripen. Oder noch besser, eine Zigeunerin, die mit Eurem einfachen Leben
zufrieden wäre. Ihr wollt eine zierliche Nachtigall, wo doch eine hübsche, kräftige Taube viel eher zu Euch passt. Tut das Richtige, Merripen! Überlasst sie mir! Es ist noch nicht zu spät. Sie wäre sicher bei mir.«
Kev konnte seine eigene keuchende Stimme kaum vernehmen, derart laut hämmerte sein Puls vor verzweifelter Wut in seinen Ohren. »Vielleicht sollte ich die Lanhams befragen. Würden sie denn zustimmen, dass sie bei Euch sicher wäre?«
Und ohne auf die Wirkung seiner Worte zu warten, stürzte Kev aus der Bibliothek.
Wins Unruhe wuchs zusehends, während sich der Abend erschreckend langsam hinzog. Sie war mit ihren Schwestern und Miss Marks im Salon geblieben, bis Beatrix keine Lust mehr hatte, den anderen vorzulesen. Das Einzige, was Win von ihrer beklemmenden Besorgnis ablenkte, war Beatrix’ Frettchen Dodger, das Miss Marks trotz – oder vielleicht gerade aufgrund – ihrer offenkundigen Abneigung zu lieben schien. Ununterbrochen kroch es an der Gouvernante hinauf und versuchte, ihr eine Stricknadel zu stehlen,
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