Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
am Werk, Fuhrmänner, Zimmerleute und Maurer, Gärtner, die die Hecken stutzten, Stalljungen und Lakaien, die herauseilten, um die ankommenden Wagen willkommen zu heißen. Das Anwesen war nicht nur zum Leben erweckt
worden – es schien vor emsiger Geschäftigkeit schier zu pulsieren.
Als Win das gespannte Profil ihres Bruders musterte, spürte sie eine Welle der Dankbarkeit für Merripen in sich aufsteigen, der all das hier Wirklichkeit hatte werden lassen. Es tat Leo gut, nach Hause zu kommen. Es war ein vielversprechender Anfang für ein neues Leben.
»Das Personal muss aufgestockt werden«, sagte Miss Marks, »aber die Leute, die Mr Merripen eingestellt hat, sind sehr tüchtig. Mr Merripen ist ein hervorragender und freundlicher Verwalter. Sie würden alles tun, um ihn zufriedenzustellen.«
Win ließ sich von einem Lakaien aus der Kutsche helfen und bis zur Eingangstür geleiten, bei der es sich um eine eindrucksvolle Flügeltür aus Massivholz mit bleiverglasten Butzenscheiben in der Mitte handelte. Sobald Win den oberen Treppenabsatz erreichte, wurde die Tür von einer Frau mittleren Alters mit rotblondem Haar und Sommersprossen geöffnet. Sie war kräftig und drallund trug ein hochgeschlossenes schwarzes Kleid. »Willkommen, Miss Hathaway«, sagte sie warmherzig. »Ich bin Mrs Barnstable, die Haushälterin. Wie froh wir alle sind, Euch in Hampshire begrüßen zu dürfen.«
»Vielen Dank«, murmelte Win und folgte ihr in die Eingangshalle.
Im Innern des Hauses riss Win überrascht die Augen auf. Alles war so hell und funkelte vor Sauberkeit! Der zweistöckige Raum war mit einer cremeweiß gestrichenen Täfelung verkleidet, und am anderen Ende der Halle erhob sich eine graue Steintreppe, deren gusseisernes Geländer schwarz und
fleckenlos glänzte. Überall roch es nach Seife und frischem Wachs.
»Bemerkenswert«, hauchte Win. »Das ist ein völlig anderer Ort.«
Leo trat neben sie. Ausnahmsweise hatte er weder eine schlagfertige Bemerkung auf den Lippen, noch machte er sich die Mühe, seine Bewunderung zu verbergen. »Es ist ein Wunder!«, sagte er. »Mir fehlen die Worte.« Er wandte sich an die Haushälterin. »Wo ist Merripen, Mrs Barnstable?«
»Draußen beim Holzlagerplatz. Er hilft, einen Wagen zu entladen. Die Baumstämme sind sehr schwer, und die Arbeiter brauchen manchmal Mr Merripens Unterstützung.«
»Wir haben einen Holzlagerplatz?«, fragte Leo.
»Mr Merripen will Häuser für die neuen Pächter bauen«, erwiderte Miss Marks.
»Das höre ich zum ersten Mal. Warum stellen wir ihnen Häuser zur Verfügung?« Leos Ton war keinesfalls tadelnd, sondern lediglich interessiert. Doch Miss Marks Lippen wurden zu einer dünnen Linie, als habe sie seine Frage als Beschwerde aufgefasst.
»Die jüngsten Pächter wurden auf das Anwesen gelockt, indem man ihnen neue Häuser versprochen hat. Es sind bereits erfolgreiche Bauern, gebildet und fortschrittlich, und Mr Merripen glaubt, dass sie dem Erfolg des Anwesens zugutekommen werden. Andere hiesige Anwesen, wie etwa Stony Cross Park, bauen ebenfalls Häuser für ihre Pächter und Arbeiter …«
»Ist schon in Ordnung«, unterbrach sie Leo. »Aber das ist doch kein Grund, sich gleich so angegriffen
zu fühlen. Ich käme niemals auf den Gedanken, Merripens Pläne zu kritisieren, nachdem ich gesehen habe, was er bisher auf die Beine gestellt hat.« Er blickte zur Haushälterin. »Wenn Ihr mir den Weg beschreiben könntet, Mrs Barnstable, gehe ich hinaus und suche Merripen. Vielleicht kann ich beim Abladen des Holzes helfen.«
»Ein Lakai wird Euch den Weg zeigen«, sagte die Haushälterin auf der Stelle. »Aber die Arbeit ist gefährlich, Mylord, und nicht gebührend für einen Mann Eures Standes.«
Miss Marks fügte bissig hinzu: »Außerdem ist zu bezweifeln, ob Ihr überhaupt eine Hilfe wärt.«
Die Haushälterin stand mit offenem Mund da.
Win verbiss sich ein Grinsen. Miss Marks sprach von Leo, als sei er ein schmächtiger Zwerg und kein kräftiger, großer Mann.
Leo bedachte die Gouvernante mit einem höhnischen Lächeln: »Ich bin körperlich viel robuster, als Ihr vermutet, Miss Marks. Ihr habt nicht den blassesten Schimmer, was unter diesem Überzieher lauert.«
»Und dafür bin ich zutiefst dankbar.«
»Miss Hathaway«, ergriff die Haushälterin rasch das Wort, um die Gemüter zu besänftigen, »soll ich Euch auf Euer Zimmer geleiten?«
»Ja, vielen Dank.« Als Win die Stimme ihrer Schwester vernahm, drehte sie sich um und sah, wie sie
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