Glut und Asche
schnaubte der Nubien Er zog seine Waffe. »Nicht, dass ich euch zwei Turteltäubchen am Ende noch störe.«
»Abu Dun!« Andrej wollte aufspringen und ihn zurückha l ten, spürte im letzten Moment, wie seine Knie unter ihm nac h zugeben drohten und ließ sich hastig wieder auf den Stuhl si n ken, bevor er tatsächlich stürzen konnte. Abu Dun hatte recht: Er war kaum noch in der Lage zu stehen, geschweige denn zu kämpfen. In seinem momentanen Zustand konnte ihn selbst ein Kind besiegen.
»Lass ihn, Andrej«, sagte Meruhe. »Er meint es nicht so. Was er gesagt hat, tut ihm jetzt schon leid. Er denkt bereits d a rüber nach, wie er sich bei dir entschuldigen kann, ohne das Gesicht zu verlieren.«
»Nur bei mir?«, fragte Andrej.
»Mehr ist nicht nötig. Es ist nicht so leicht, mich zu beleid i gen, weißt du?«, sagte Meruhe. »Und wie gesagt: Er meint es nicht so. Glaub mir, ich weiß das.«
»Warum sagt er es dann?«
»Er hat ... ein schlechtes Gewissen.« Meruhe zuckte die Achseln.
»Weil du mit ihm geschlafen hast? Aber er weiß doch w a rum. Du ...«
»Das macht es nicht besser«, unterbrach ihn Meruhe. »J e denfalls nicht für ihn. Im Gegenteil. Ich gehörte damals zu dir, und er hatte kein Recht dazu.«
»Ich kann mich ja täuschen«, erwiderte Andrej spöttisch, »aber ich hatte nicht den Eindruck, dass du ihm die Wahl g e lassen hast.«
»Das spielt keine Rolle«, antwortete Meruhe. Sie hob ihr Weinglas, aber nicht, um zu trinken, sondern nur, um damit zu spi e len. »Tief in seinem Inneren ist er ein sehr altmodischer Mensch, Andrej ... und zugleich der beste Freund, den sich ein Mann wünschen kann. Das Letzte, was ich will, ist, dich vor die Wahl zu stellen, dich zwischen mir und ihm zu entscheiden. Der Einzige, der dabei verlieren würde, wärst du.«
Es war Andrej bisher nicht einmal in den Sinn gekommen, über eine solche Entscheidung nachzudenken, aber jetzt, einmal auf den Gedanken gebracht, erschreckte er ihn.
Meruhe nippte nun doch an ihrem Wein, nahm allerdings nur einen winzigen Schluck und begann, scheinbar in Gedanken, mit dem Glas zu spielen. Die geschliffenen Facetten fingen das Licht der brennenden Kerzen auf und brachen es zu unzähligen verschiedenfarbigen Punkten, die wie eine Armee leuchtender Käfer über die Tischplatte, ihre Arme und ihr Gesicht huschten. Ein einzelner Tropfen Wein war in ihrem Mundwinkel zurüc k geblieben und schimmerte rot wie Blut, und Andrej verspürte ein Schaudern wie von tausend glühenden Nadelstichen, als er sah, wie sie ihn mit der Zungenspitze aufleckte. Das Gefühl, das dieser Anblick in ihm auslöste, vermochte er nur noch mit Mühe zu unterdrücken. Aber warum eigentlich? Gleich darauf beantwortete er sich auch diese Frage: weil er selbst dafür zu müde war.
Meruhe sah ihn kurz aus ihrem sehenden Auge an, lächelte und wurde sofort wieder ernst. Sie trank einen etwas größeren Schluck Wein und fuhr fort, mit dem Glas zu spielen. Licht und Schatten tanzten schneller über ihr Gesicht.
»Loki ist nicht von selbst auf meine Spur gekommen, oder?«, fragte er unvermittelt.
Meruhe schwieg. Der Tanz von Licht und Schatten auf ihren nachtfarbenen Zügen wurde härter und lebhafter und hatte jetzt etwas Hypnotisches. Ganz kurz kam ihm der Gedanke, dass dieser Effekt vielleicht kein Zufall oder eine bloße Sinnestä u schung war Was, wenn ihre Macht noch viel größer war, als er bisher angenommen hatte, und sie seine Gedanken nicht nur las, sondern lenkte?
»Nein«, sagte Meruhe. »Es war kein Zufall. Jemand hat ihm gesagt, wo du bist.«
»Frederic.«
»Ja.«
Da war noch mehr Dieses einfache Ja beinhaltete eine tie f gehende, schreckliche Wahrheit, vor der er bereits erschrak, bevor er sie überhaupt kannte. Er wollte sie auch gar nicht ke n nen, um nichts auf der Welt. Trotzdem fragte er:
»Warum?«
»Frederic hasst dich, Andrej«, antwortete sie nach kurzem Zögern und ohne ihn direkt anzusehen. »Er hasst dich, seit er de n ken kann, Andrej, nicht erst seit jenem schrecklichen Tag auf Tepeschs Burg. Was Dracul ihm angetan hat, das hat ihm die Kraft gegeben, aus diesem Hass mehr als ohnmächtigen Zorn zu machen, aber sein Hass ist viel älter. Aber er fürchtet dich auch, Andrej, dich und insbesondere Abu Dun. Er ist stark, stärker als die meisten von euch, aber nicht so stark wie du. Er hat lange nach einem Werkzeug für seine Rache gesucht, und in Loki hat er es gefunden.« Sie lachte, leise und bitter und nur ganz kurz, trank einen
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