Glut und Asche
endgültig klar, dass er nicht darauf zu hoffen brauchte, dass Marcus es irgendwann einfach überdrüssig wu r de, ihn leiden zu sehen. Er hatte es nicht etwa mit einem Mann zu tun, der Freude daran hatte, ihn zu quälen, sondern mit e i nem Mann, der seine Arbeit tat, und das sehr gewissenhaft.
Und er wusste immer noch nicht einmal warum.
»Ich denke, dass wir beide ein wenig Ruhe brauchen kö n nen«, fuhr der Inspektor fort, als er nach einer Weile begriff, dass Andrej nicht antworten würde. »Ich lasse Ihnen nachher etwas Wasser bringen, Mister Delany .« Erneut wartete er - ve r geblich - darauf, dass Andrej etwas sagte, deutete schließlich ein leicht enttäuschtes Schulterzucken an und wollte sich u m drehen, um zu gehen, doch jetzt rief Andrej ihn mit schwacher Stimme zurück.
»Inspektor.«
Marcus hielt erst mitten in der Bewegung inne, wandte sich dann wieder ganz zu ihm um und kam sogar einen Schritt n ä her. Gerade noch weit genug von ihm entfernt, um noch auße r halb seiner Reichweite zu sein, sollte Andrej etwa versuchen, ihn zu beißen - was diesem bei einem seiner Folterknechte am Anfang dieser entsetzlichen Nacht gelungen war. »Mister D e lany ?«
»Warum tun Sie das, Marcus?«, flüsterte Andrej. »Es bereitet Ihnen keine Freude, das weiß ich.«
Marcus sah ihn sehr lange, sehr nachdenklich und beinahe ein bisschen traurig an. Dann nickte er »Das ist wahr«, sagte er. »Aber manche Dinge müssen nun einmal getan werden.«
Andrej, der sich inzwischen selbst dafür verfluchte, dass se i ne Kräfte bereits wieder zurückkehrten, hob nur mühsam den Kopf und versuchte, Marcus' Blick einzufangen. Es gelang ihm, aber anders, als er gewohnt war, blieb es bei einem Blickwec h sel. Weder versuchte Marcus, seinen Augen auszuweichen, noch gelang es ihm umgekehrt, den Willen hinter dem gnade n losen Blick des Inspektors zu brechen. Es war nicht so, als wäre dieser Mann stärker als er - das war so gut wie niemand -, so n dern vielmehr so, als ... als wäre da einfach nichts. Hätte er nicht gewusst, dass es vollkommen unmöglich war, er wäre in diesem Moment davon überzeugt gewesen, nicht mehr als einer leeren Hülle gegenüberzustehen, einer Puppe, die vielleicht vor langer Zeit einmal ein Mensch gewesen war, die das Leben aber schon vor einer Ewigkeit verlassen hatte. Und schließlich - und das war vielleicht das Ungewöhnlichste überhaupt - war er es, der das stumme Duell verlor und den Blick senkte.
Marcus trat einen Schritt zurück, ließ sich mit einem mü h samen Seufzen, das dem eines uralten Mannes glich, der sich zu jeder noch so kleinen Bewegung überwinden muss, in die H o cke sinken und hob eines der Folterwerkzeuge auf, die die Männer erschöpft fallen gelassen hatten - einen kurzen, g e krümmten Dolch mit rasiermesserscharfer Klinge und einem bösartig g e bogenen Widerhaken an der Spitze. Langsam und mit einem Ausdruck von fast wissenschaftlichem Interesse in den Augen zog er die Klinge an Andrejs von den Ketten nach oben g e zwungenem Oberarm entlang, durch die Achselhöhle und ein Stück weit an seinem Brustkorb hinunter. Blut floss, und Andrej presste so fest die Kiefer aufeinander, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken, dass seine Zähne knirschten.
»Nein.« Marcus ließ das Messer fallen, schüttelte den Kopf und trat beinahe erschrocken einen Schritt zurück. »Ich kann das nicht.«
»Wie ... beruhigend«, keuchte Andrej. »Dann sollte ich vie l leicht beten, dass Sie sich nicht entschließen, es zu lernen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie beten, Mister Del a ny «, antwortete Marcus ernst. »Jedenfalls nicht zu einem Gott, den ich kennen möchte.« Er wiederholte sein Kopfschütteln und sah kurz und eindeutig angewidert auf seine Hände hinab, o b wohl sie sauber waren. Er hatte penibel darauf geachtet, sich nicht mit Blut zu besudeln. »Ich dachte, ich könnte es, aber es bere i tet mir kein Vergnügen. Im Gegenteil.«
Marcus machte erneut Anstalten zu gehen, und etwas durch und durch Absurdes geschah: Plötzlich hatte Andrej panische Angst davor, allein zu bleiben. Dieses Ungeheuer in Me n schengestalt hatte ihm mehr angetan als jemals ein einzelner Mann zuvor, und dennoch fürchtete er sich beinahe vor nichts mehr als d a vor, dass er ging. »Wollten Sie mir nicht eine Frage stellen, I n spektor?«, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sein Arm hörte auf zu bluten, und obwohl er nicht hinsah, wusste er doch, dass die Wunde sich
Weitere Kostenlose Bücher