Glutnester
beschrieben.«
Der Vormittag war wie im Flug vergangen. Elsa hatte sich einen heftigen Schlagabtausch mit der Familie Gasteiger/Kratzer geliefert. Hubs Kratzer war es nicht zu dumm gewesen, von einem Anwalt, den er einschalten wolle, zu sprechen.
»Ganz wie Sie meinen«, hatte Elsa geantwortet. Sie hatte sich keine Emotion gegönnt. »Die Sache wird dadurch allerdings nicht leichter.« Als sie schließlich darauf zu sprechen kam, die beiden Kinder zu verhören, hatte Helga Kratzer hemmungslos zu weinen begonnen.
»Jetzt lassen ’S wenigstens d’ Kinder in Ruh’«, hatte sie gebettelt. »Die kenna do nix dafür. Die brauchen eana Frieden.« Hubs hatte seine Frau an sich gezogen und zu trösten versucht. Vergebens.
Roland Gasteiger blieb als Einziger ruhig und besonnen. »Kinder stecken mehr weg, ois ma moant. I bin gern dabei, wenn S’ die Madln verhörn«, hatte er vorgeschlagen.
»Das geht leider nicht. Beim Verhör muss ich schon mit den Mädchen allein sein. Sonst sind sie befangen. Aber seien Sie beruhigt, ich bin selbst Mutter, und ich bin Psychologin. Ich werde mit aller mir gebotenen Fürsorge und Einfühlsamkeit an die Verhöre herangehen.«
»Aber d’ Gerry versteht do nix von dem, wos S’ ihr erzählen. D’ Gerry is autistisch«, hatte Helga Kratzer tränenreich eingeworfen.
»Glauben Sie mir, Frau Kratzer. Sie machen sich völlig unnötig Sorgen. In wenigen Stunden ist alles vorbei. Ein einziges Gespräch mit jedem der Mädchen. Mehr will ich gar nicht.«
»Ko ma des verhindern?«, hatte Hubs als Letzter aufgemuckt und sich mit einem Blick auf Elsa die Antwort gegeben.
Die hatte ihn still angesehen. Und er hatte verstanden, dass er klein beigeben musste. »Bürger ohne Rechte!«, hatte er nur noch gemurmelt, war aufgestanden und gegangen. Mit hochgezogenen Schulterblättern und einem Hasten, als trete er eine lange geplante Flucht an.
Zu Mittag hatte Elsa, obwohl die Spurensicherung das längst getan hatte, erneut das Zimmer durchsucht, in dem Luise Gasteiger zu Tode gekommen war. Sie wollte die Stimmung des Raums aufnehmen. Sehen, was ihr die Einrichtung, das ganze Umfeld über Luise Gasteiger mitteilen konnte. Jeden Schrank und jedes Kästchen hatte sie vorsichtig geöffnet. Jede Lade herausgezogen. Unter jeden Teppich geschaut. Selbst Luises Unterwäsche hatte sie durchsucht und unter ihren Unterhemden Briefe gefunden und sie gelesen. Einige wenige waren aus der Zeit, als Roland Gasteiger um sie geworben hatte. Die Briefe hatten die Jahre in einer ausgeblichenen Schuhschachtel im Schrank überdauert. Graues Papier, Bleistiftschrift, rotfleckiges Band drum herum. Sie gaben nichts preis. Außer heißes Verlangen aufeinander.
Elsa wundert sich, dass die Briefe im Zimmer verblieben sind. Vermutlich, weil man anfangs von einem gewöhnlichen Tod ausging. »Stümperhaftes Vorgehen«, murmelt sie vor sich hin. Spätestens seit Hörnchens Hinweis auf Schock hätte man Luises Zimmer erneut und vor allem penibler untersuchen müssen.
Alles, was Elsa findet, bestätigt das Leben einer Frau, die schon lange allein lebte. Keine Gemeinsamkeiten mehr mit ihrem Mann. Eine Ehe wie eine ausrangierte Lok auf einem Verladebahnhof. Es wurde längst nichts mehr transportiert. Außer ein mittelmäßiges, von Gewohnheit geprägtes Minimalinteresse am anderen. Ein Interesse, das das Ego wach hielt und dem Zank beim Überleben half.
Elsa weiß, dass sie innerhalb der Familie auf nichts stoßen wird, was den Schock der Toten, kurz vorm Tod, erklärt. Denn inzwischen glaubt sie an etwas, das es zu entdecken gilt. Niemand wird sich ihr offenbaren. Sie muss um die Erklärung kämpfen. Mit allen Mitteln. Und das wird sie auch. Ihre Chance sind die Kinder. Deren Unvoreingenommenheit, Auffassungsgabe und feines Gespür können ihr einen Weg weisen. Die Kinder sind ihr Schlüssel zum Lösen dieses Falls.
Elsa zückt ihr Handy und ruft Degenwalds Nummer auf. Sie erreicht ihn auf der Autobahn von München Richtung Chiemsee. »Ich kümmere mich um Luise Gasteigers Zimmer. Ist eine ziemliche Schlamperei, dass das erst jetzt ordentlich angegangen wird. Übrigens, waren Sie schon bei der Baufirma, die den Gasteiger-Hof kaufen wollte oder noch kaufen will?«
»Steht auf meinem Plan«, entgegnet Degenwald knapp.
»Ich glaub zwar nicht, dass wir bei denen etwas Entscheidendes finden. Abklären müssen wir’s trotzdem«, hält Elsa das Gespräch am Laufen. »Es gibt schließlich immer wieder Fälle, wo die Jungen
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