Glutnester
Moment auf der Zunge. Die weich gekochte rote Rübe, den feinen Geschmack des Kaviars und des Kürbis’ samt flaumigem Schnitzel, das sicher in Schmalz herausgebraten wurde und hinterher auf Küchenkrepp abgetropft ist, damit es nicht mehr Fett als nötig enthält. Und das bei vollem, rundem Geschmack.
»Was ich wissen möchte, ist, wie hoch das Angebot war, das Ihre Firma den Gasteigers gemacht hat. Für den Hof in Kruchenhausen.«
»Da muss ich nachsehen. Aber es war ein stattliches Sümmchen. Es ging ja nicht nur um den Hof, sondern vor allem um das Land, das dazugehört. Bauland. Da könnte einiges an Wohnraum realisiert werden. Eigentum im Chiemgau. Nahe Reit. Das geht noch immer. Oder schon wieder. Die Leute vertrauen der Stabilität des Euro nur bedingt. Immer mehr Menschen, vor allem solche mittleren Alters, wollen sich absichern und kaufen Wohnungen. Die nutzen sie als Zweitwohnsitz und sehen sie gleichzeitig als Wertanlage.«
»Gut und schön. Mich interessiert, wie Sie mit den Gasteigers, oder besser gesagt den Kratzers verblieben sind.«
»Sie sollten sich melden, wenn der Verkauf spruchreif wird. Die Stibo hat natürlich eine Option auf das Ganze. Aber es gibt eine Frist.«
»Und die endet wann?« Degenwald nimmt einen Löffel seines Süppchens und nippt danach erneut am Wein, der wie Öl hinuntergeht. Ein Weißer mit 13,5 Volumenprozenten. Ein edler Tropfen aus Niederösterreich.
»Weiß ich nicht auswendig. Aber wir haben bereits verlängert. Der Markt hat sich nicht gravierend verändert. Nachfrage besteht noch immer. Davon hängt schließlich jedes Angebot ab.«
»Können Sie sich vorstellen, dass jemand aus der Familie …« Degenwald hat noch nicht zu Ende gesprochen, da bekommt er bereits die Antwort.
»Nie und nimmer. Das wäre ja Irrsinn.« Haberstock schlürft sein Wasser, als müsse er sich die Frage wegtrinken. Eine, mit der er sich offensichtlich schwertut.
»Solche Dinge kommen vor. Mord, weil jemand nicht verkaufen will und so der Geldfluss unterbrochen oder erst gar nicht aktiviert wird«, holt Degenwald ihn zurück in die Realität seines Berufs.
»Nicht in meiner Welt. Bei meinen Kunden. Auch wenn der Hubert Kratzer elendig darauf gedrängt hat, die Sache über die Bühne zu bringen. Der war schon richtig heiß drauf, den Bauerngeruch aus den Kleidern zu kriegen und in einen zweitklassigen Anzug zu schlüpfen. Trotzdem, Mord? Niemals. Keiner von denen sieht wie ein Mörder aus. Die Luise Kratzer ist an ihrem Zucker gestorben. Schlimme Sache. Aber leider immer wieder vorkommend.«
»Und Huberts Frau? Helga Kratzer?« Degenwald lässt nicht locker.
»Die war eine Spur unaufdringlicher als ihr Mann. War sehr um die Kinder bemüht. Besonders um ihr behindertes. Dafür wollte sie das Geld, sagte sie. Bessere Betreuung, erklärte sie immer wieder. Daran erinnere ich mich genau. Mehr Zeit für die Kleine. So ein Schicksal merkt man sich. Sogar einer wie ich.«
Die zweite Vorspeise, vitello tonato mit Kapern und Salatgarnitur, und die Hauptspeise, die aus einem Thunfischfilet in Sesamkruste an feinem Gemüse besteht, schmecken Degenwald vorzüglich. Er und Haberstock gönnen sich ein zweites Achtel Wein und genießen Gabel für Gabel und Löffel für Löffel, was für sie gekocht wurde. Schließlich werden zwei Schaumrollen an Pistazienpesto mit Erdbeerrahmfülle und Bananeneis serviert und lassen sich zuerst als feine Note in ihren Nasenwänden nieder. Eine einzige süße Verlockung. Degenwald befindet sich im geschmacklichen siebten Himmel, den er nie zuvor betreten hat. Dass er ausgerechnet mit Fritz Haberstock, der noch nicht mal sonderlich sympathisch ist, derlei erlebt, dieses Empfinden fällt nach den ersten Minuten von ihm ab wie eine reife Frucht vom Baum. Für Gedanken wie diese ist der Genuss zu überwältigend. Degenwald entscheidet sich, dem Schicksal für die Gelegenheit zu danken. Doch während er in Geschmäckern schwelgt, steigt eine lästige Frage in ihm hoch. Warum hat er damals nur den Weg als angesehener Jurist verlassen, um als Kommissar Verbrechen aufzuklären? Die Vorstellung, hier regelmäßig speisen zu dürfen, lässt ihn seine Berufswahl, die an ein beschränktes Einkommen geknüpft ist, plötzlich als fatalen Fehler wahrnehmen.
9. Kapitel
Elsa merkt, wie die Anspannung in ihr wächst. Leise, stetig. Sie weiß, dass Einsicht nicht immer da ist, wenn man sie braucht. Sie erscheint oft, wenn die ursprüngliche Frage längst verblasst oder sogar
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