Glutnester
winzige Stückchen, das an ihr scheuerte und ihren Duft konservierte. Er hatte sich an seinem Hosenstall zu schaffen gemacht. Während sie den Apfel verschlang. Hatte den Lkw angehalten und es sich eilig, viel zu eilig selbst besorgt. Ihr Gesicht, ihr Körper, alles war zweitrangig. Der Duft und die Möglichkeit ihres feuchten Geschlechts – alles als Vorstellung – waren ihm genug.
Anfangs war alles gut gegangen. Monatelang. Er hatte genügend Fantasie besessen und lebte in seiner Vorstellung. Sogar intensivste Gerüche konnte er sich gedanklich herbeisehnen. Und das Ersehnte fast körperlich spüren. Doch dann nutzte sich die Vorstellung plötzlich ab. Als habe sie ihr Ablaufdatum überschritten. Von einem Tag auf den anderen schmeckte sie wie Pappe auf der Oberfläche der Zunge. Sie riss ihm kleine Wunden in die unebene Röte, die sich der Lust entgegenschlängelte. Er brauchte etwas Neues. Stärkeres.
Er hatte nicht lange überlegen müssen. Es war ihm sogleich eingefallen. Das Fleisch von Frauen berühren. Sich in Berge und Täler von Haut und kurzem, sich zusammenringelndem Haarflaum vergraben. Sich in die schwitzigen Falten sinken lassen. Immer die Nase zuvorderst. Er musste den Geruch ihrer Slips inhalieren, während sie ihm dabei zusahen, wie er es sich besorgte. Auch wenn sie nicht mit ihm verkehren wollten. Wenn ihre Augen sich zu unansehnlichen Schlitzen verengten, mussten ihre Slips auf ihm liegen. Auf seinem Gesicht. Wenn er sie irgendwann beiseiteschöbe, würde er die Lust im Ausschnitt ihrer Pupillen sehen. Ihr Nein, das wusste er, war fadenscheinige Tarnung. Sie alle wollten es. Sogar wenn sie die Augen zu Balken aufeinanderpressten und behaupteten, sie wollten nicht. Er nahm ihrem Duft die Wahrheit ab. Nicht ihren Worten. Er schrie sie an, die Augen zu öffnen. Schlug sie. Nicht ins Gesicht. Aufs Gesäß.
Er stockt. Eine quälende Pause, die ihm die Luft abschnürt. Seine Hand lässt ab. Er betrachtet seine Augen im Spiegel. Sieht Scham und Schuld darin verborgen. Und Wut. Teuflische Wut. Auf alles, was stattfindet. Der kurze Aufschrei eines Zweifels durchzuckt ihn. Er unterdrückt ihn erfolgreich. Legt seine Hand erneut in Position.
Er bringt es einfach nicht fertig, sich für sein Leben zu schämen. Die züngelnde Flamme beißender Lust hält ihn schon lange umschlungen. Lodert um ihn und in ihm. Lässt keinen Millimeter seines Körpers aus. Und keinen einzigen Gedanken frei. Gedanken und Vorstellungen, die ihm immer weit voraus sind. Um das zu erleben, was er seit Jahren erlebt und noch erleben will, wird er alles tun.
Elsa spricht mit Gerry und kommt sich dabei vor, als sei sie diejenige, die Rede und Antwort zu stehen hat. Sie spricht über sich. Danach von Anna und ihren Erlebnissen in der Schule. Überschäumenden Hochgefühlen, wie die Pubertät sie im Übermaß bot. Gerry bleibt die ganze Zeit über die unbewegliche Puppe, die sie von Anfang an war. »Weißt du, Gerry«, plaudert Elsa. »Ich habe gelesen, dass man bei frühkindlichem Autismus unangemessene Verhaltensweisen zu vermindern sucht und, im Gegenzug, soziale und kommunikative Fähigkeiten aufbaut.« Elsa schenkt Gerry ein einfühlsames Lächeln. »Für mich liest sich das wie eine Anmerkung zur Behandlung eines Menschen, der ein Verbrechen begangen hat. Übrigens auch eines Menschen, der keines begangen hat. Wer von uns hat sich nicht schon dabei ertappt, unangemessen auf etwas zu reagieren? Und wer von uns hätte es nicht nötig, an seinen kommunikativen Fähigkeiten zu arbeiten?« Elsa will Gerry zaghaft über die Hand streicheln. »Im Grunde bist du völlig normal. Vielleicht sogar normaler als manch anderer. Ist es schöner in der Stille, die du um dich baust? Schöner als in der Hektik und falschen Verbundenheit, die wir ausagieren?« Bevor Elsas Handfläche die Gerrys berührt, zuckt sie zusammen. Hält ein und lässt die Berührung in der Luft einfrieren. Autistische Kinder akzeptieren keine Nähe. Wie hat sie das vergessen können. »Du magst keine Annäherung«, wiederholt Elsa ihren inneren Monolog laut. Diesmal mit direktem Ansprechpartner.
Als sie den Satz aufsagt, fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. Ein brisantes Wort. Annäherung. Der Brief, den sie von einem Unbekannten bekommen hat. Drohende Annäherung. Bens Kuss. Ungeplante Annäherung. Der Slip, den Hörnchen mit der Post zugesandt bekam. Fragwürdige Annäherung. Wenn ein Begriff, ein Wort, ein Bild einem ständig vorgeführt wurde, konnte
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