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Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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an. Genauso wie die Lippen. Als seien sie jetzt vorwitziger als noch zuvor. Er will einen Lustvorschuss kassieren. Deshalb nestelt er an seiner Hose herum. Weil er schnell macht, verfängt er sich mit der Haut seines Zeigefingers im Reißverschluss. Er unterdrückt ein leises Fluchen. Seine Gedanken wühlen den beginnenden Abend auf. Jeder einzelne verausgabt den Tag mehr. Er muss sich vergewissern, dass alles richtig läuft. In so einer Situation darf man sich keinen Fehler erlauben.
    Er erinnert sich an all die Häme, die er in seinem Leben bereits einstecken musste. Alles, weil er arglos liebte. Sein Leben ist keine groß angelegte Lüge. Das Maß der anderen ist die Lüge. Das Gerede darüber, was man darf und was nicht. Der Boden unter ihm ist tabakfarben. Süchtig machender Boden, auf dem er alles mit ihr anstellen kann, was er will. Bald wird die Luft starr vor Kälte sein. Ihr Blick ist es bereits jetzt. Diesen Blick wird er brechen. »Nieder da!«, sagt er erneut und deutet an, dass sie sich hinlegen soll. Sie folgt seinem Befehl. Dabei entkommt ihr ein leises Wimmern. Er macht sich an ihrer Hose zu schaffen. Bald hat er es geschafft, hat sie ihr ausgezogen. Da liegt sie. Ihre Schenkel zittern. Weiße, fleckenlose, blutjunge Schenkel. Er zieht sich mit viel zu hastigen Bewegungen die eigene Hose aus. Seine Haut ist plötzlich faltig und irgendwie fast brüchig. Die Haare darauf starr und staksig. »Du hältst still, versprochen!«, verlangt er. Ihre Augen sind riesig. Große Augen in einem zu kleinen Gesicht.

16. Kapitel
    Karl Degenwald weiß an diesem späten Nachmittag nicht, weshalb er tut, was er tut. Doch da er seit jeher auf seinen guten Riecher zählt und auch jetzt darauf vertraut, befindet er sich auf dem Weg nach Point. Er nimmt den Waldweg, den die Reifen seines Wagens mit ein bisschen Anstrengung bewältigen, lässt das dunkle Grün der Tannen links und rechts rasch hinter sich, bis er auf die Lichtung stößt, die Platz für das Haus einer Toten lässt. Dort angelangt, bekommt er nicht nur mehr Licht zu sehen, sondern auch den Rücken einer Gestalt vor Veronikas Haus. Die Gestalt hockt auf einem Baumstumpf. Die Hände in den Haaren vergraben. Den Kopf wie ein Vogel nach vorne geklappt. Tatenlos sitzt sie da. Als Degenwald seinen Audi näher heranfährt, sieht er, dass die Gestalt sich regt und dass es sich um Helga Kratzer handelt. Als sie seinen Wagen näher kommen hört, dreht sie sich nach ihm um. Degenwald sieht in irritierte Augen. Solche, in denen Verunsicherung geschrieben steht. Und Entrüstung. Vermutlich über die unerwünschte Störung an diesem späten Nachmittag. Er hält unmittelbar vor Helga an, dreht den Motor ab, steigt aus dem Wagen und fragt rundheraus, was sie hier macht.
    »Servus, Helga. Ich bin kein Mann großer Worte. Deshalb komm ich direkt zum Punkt. Meine Kollegin hat mir gesagt, was dir im Kopf herumspukt. Dass die Veronika deine Mutter gewesen sein könnt. Und jetzt …«
    »… Und jetzt frogst di, ob i s’ net aufm G’wissn hob? D’ saubere Veronika.« Helga spuckt vor Karl Degenwald aus. Er bezweifelt, dass sie etwas im Mund hatte, das sie schnell loswerden musste. Ausgerechnet vor seinen Füßen spuckt sie aus wie ein unerzogenes Gör. Es macht eher den Eindruck, als glaube sie, er trüge die Verantwortung für das, was in letzter Zeit über sie hereingebrochen war wie ein gewaltig drohendes Gewitter. »Hechstens sie hot mi aufm G’wissn. Mi und mein’ Seelenfrieden, Karl. I woaß net, wos d’ Veronika für a Mensch war. Stiehlt da Mama den Mo. Jahrelang hat sie’s offenbar mit eam ’triebn.«
    »Vermutlich«, wirft Degenwald nicht nur der Form halber ein, sondern auch im Namen der angenommenen Wahrheit. »Vermutlich ist nicht tatsächlich. Das ist ein himmelweiter Unterschied.«
    »I hob a net d’ Mama ei’g’sperrt und verrecka lassn, weil s’ mir nie d’ Wahrheit g’sagt hot, falls d’ mi des a no amoi fragen wuist. Vielleicht war’s da Papa. Die zwoa warn ja a eing’schworene Feindesg’meinschaft. Die ham si g’hasst. So sehr, dass i’s manchmoi nimmer mit ansehn konnt. I hob oft g’nua g’schrien. ›Jetzt hauts doch ab. Lassts eich scheiden. Oder bringts eich vo mir aus um. Nur lassts mi und an Hubs in Frieden. Und d’ Kinder in Ruh.‹ ’s war nimmer zum Mitansehen und scho gar net zum Mitanhören.«
    »Und was treibt dich heute hierher, Helga? In Veronikas Haus ist nichts für dich zu holen.«
    »I hob hoit mit ihr reden wolln.

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