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Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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weggekommen«, entgegnet die Sprechstundenhilfe spitz.
    »Tun Sie mir trotzdem den Gefallen und überprüfen das noch einmal?«, verlangt Elsa in besonders freundlichem Ton.
    »Einen Augenblick, ich schaue rasch nach.«
    Elsa wartet eine ganze Weile, bis sie erneut die Stimme der Sprechstundenhilfe hört. Einer Frau, die sie sich leicht untersetzt, klein, mit Dauerwelle, bescheidenem Geschmack, was ihre Garderobe anbelangte, und eingeschränkten sozialen Kontakten vorstellt. Kurzum, eine Frau, die nicht weiter auffiel und nichts Großartiges vom Leben erwartete.
    »Wie ich schon sagte. Bei uns ist nichts weggenommen worden. Aber warten Sie mal …« Zwischen Elsa und der Sprechstundenhilfe entsteht eine Pause. Die Frau scheint nachzudenken. Und kommt zu einem Ergebnis. »Ich weiß nicht, ob Ihnen das weiterhilft, aber unlängst war unser Mischgerät defekt. Damals ist reichlich viel Narkosegas verbraucht worden. Das ist jetzt aber nur eine Anmerkung von mir.«
    »Eine persönliche Einschätzung. Ich verstehe«, versucht Elsa die Frau zu beruhigen. »Kommt so was denn häufiger vor? Ein Defekt des Mischgeräts?«
    »Seit ich bei der Frau Doktor arbeite, noch nicht.«
    »Und wie lange arbeiten Sie bereits bei ihr?«, will Elsa wissen.
    »Über zwanzig Jahre.«
    Elsa versucht, die Sache auf den Punkt zu bringen. »Ich fasse das Geschehen noch einmal zusammen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie mir mitteilen, es könnte durchaus sein, dass eine Flasche
Sevofluran weggekommen ist, ohne dass es von jemandem bemerkt wurde. Und zwar, weil das Mischgerät kaputt war und man die verbrauchte Menge nicht mehr exakt bestimmen konnte.«
    »Das wäre möglich, ja. Allerdings, wie gesagt, darüber hat sich niemand Gedanken gemacht. Was sollte jemand auch mit einem Narkosemittel anfangen?«, versucht die Arzthelferin, den Vorfall herunterzuspielen. So, als werde ihr erst in diesem Moment klar, was sich an das von ihr Gesagte anhängen könnte.
    »Da fällt mir spontan eine ganze Menge ein. Aber keine Sorge. Sie haben das Richtige getan. Sie bekommen keine Probleme.«
    »Da bin ich aber froh«, seufzt die Frau am anderen Ende.
    »Haben Sie das Gerät richten lassen?« Wäre zu schön, wenn das defekte Gerät irgendwo abgestellt worden wäre. Vielleicht noch mit Fingerabdrücken drauf, hofft Elsa.
    »Natürlich haben wir das. Es funktioniert wieder tadellos.«
    »Vielen Dank für die Auskunft und schönen Tag noch.« Elsa steckt das Telefon zurück in die Halterung. Sie kann es noch gar nicht glauben. Für sie steht fest, dass aus der Praxis von Frau Dr. Kamp vor Kurzem Sevofluran gestohlen wurde. Die Flasche, mit deren Inhalt jemand Veronika Steffel betäubt und so letztlich getötet hatte, ist gerade zurückverfolgt worden. Elsas Gesicht geht in einem Lächeln auf, wie sie es sonst kaum zulässt. »Einen Punkt für dich, Elsa«, lobt sie sich. »Wurde auch höchste Zeit, dass mal was weitergeht.«
    Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wer der eifrige Dieb war. Und ob er sich zuvor am Mischgerät zu schaffen gemacht hatte. Dann sah die Sache schon viel besser aus. Viel, viel besser.
     
    Bisher war Lust für ihn unberechenbar gewesen. Etwas, das er herbeischaffen und kontrollieren musste. Doch er sehnt sich seit Langem nach etwas Berechenbarem. Er schaut mit verdutztem Gesicht auf sein Opfer hernieder. Er ist unangefochten der Tonangebende an diesem späten Nachmittag. Im Moor wird es früh dunkel. Außerdem hat es merklich abgekühlt. Der Wind schweigt. Aber die Dämmerung schickt frühzeitige Kälte. Er hat Decken mitgenommen. Die legt er auf. Immer schön zwei übereinander.
    »Nieder da!«, dirigiert er. Sie setzt sich nicht hin. Sie fällt regelrecht auf die Knie. Die Hände hat er ihr mit einem Strick hinterm Rücken zusammengebunden und ihren Rucksack im Auto gelassen. Das Handy hat bereits einmal geklingelt. Aber das macht nichts. Er lässt sich nicht stören. Er will ihr Worte schenken, die er im Kopf gierig formuliert. Und sie muss zuhören. Schön zuerst im Kopf zurechtlegen und dann aussprechen, sagt er sich. Worte, die mit Inhalt infiziert sind. Sonst wirken sie nicht. Solche muss er ihr sagen.
    »Und jetzt folgst du!«, beginnt er. Er wartet auf ihr Nicken. Sprechen kann sie nicht, denn er hat ihr ein großes Taschentuch zwischen die Zähne gesteckt und hinterm Kopf zusammengebunden. So treten ihre Lippen schön hervor. Sie fühlt sich unbehaglich. Er sieht es ihr an. Ihre Augen springen ihn regelrecht

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