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Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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die mit einem Mal eiskalt werden, obwohl die Truhe mit der Tiefkühlkost längst hinter ihr liegt. Die Kälte kommt von woanders, dringt ihr in die Knochen und nimmt ihr Fleisch ein. Alles fühlt sich eisig und taub zugleich an. Als wären ihre Körperteile dabei, abzusterben. Elsa fühlt, wie ein wildes Pochen beginnt. Ihr Herz schlägt den Takt zu hartnäckigen Gedanken. Schlägt viel zu schnell. Anna!, schreit Elsa innerlich auf. Wo, um alles in der Welt, bist du, Anna? Bitte, lieber Gott, mach, dass meinem Kind nichts passiert ist.
    Elsa Wegener, du bist noch ganz bei Trost, oder?, antwortet Gott prompt. Glaubst du tatsächlich, dass immer nur den anderen etwas Schreckliches zustößt, du aber stets davon ausgenommen bist? Das Leben immer schön säuberlich an Elsa Wegener vorbeimanövrieren? So was in der Art!
    Und was ist mit der Scheidung? Der Verlust des gewohnten Umfelds. Der Neubeginn ganz ohne Plan dahinter. Ist das nichts, Gott?
    Gott lacht auf. Er schaut sich um, ob auch bestimmt niemand anders zuhört. Dann beugt er sich zu Elsa vor und sagt ihr die ganze tragische Wahrheit direkt ins Gesicht. Eine Scheidung ist ein Kinkerlitzchen. Das richtig Grausliche im Leben hast du immer nur in deinem Beruf erfahren. Durch den Filter des Nichtdazugehörigen betrachtet. Aber so läuft das Leben nun mal nicht. Nicht für immer. Jetzt, wenn es dich selbst trifft, wirst du endlich wissen, wie sich ein Opfer fühlt. Erst nach diesem Tag kannst du nachvollziehen, was all die Menschen mitgemacht haben und noch mitmachen werden, mit denen du zu tun hattest. Deine Statistiken beginnen zu leben. Einschließlich du selbst, Elsa. Du wirst eine Zahl auf einem Stück Papier sein. Ein Fall, den jemand anders lösen wird oder irgendwann zu den Akten legt. Du wirst das echte Leben zu schmecken bekommen. Nicht nur den milden Abklatsch davon.
    »Frau Wegener! Geht’s Eana net guat? Wollen S’ a Glasl Wasser?«, fragt die Kassiererin.
    Elsa schreckt aus ihrem Tagtraum auf. Sie steht an der Kasse. Das schwarze Band läuft, ohne dass sie das Eingekaufte drauflegt. Stattdessen bewegt sie sich nicht und stiert in die Gegend. Hinter ihr hat sich eine Schlange gebildet. Ein Mann vorgerückten Alters, mit einem wuchtigen Hut auf dem kahlen Schädel, schiebt ihr das Ende seines Einkaufswagens in die Rippen. Mit sanfter Gewalt. Er hat es offenbar sehr eilig.
    »Danke. Alles in Ordnung«, sagt Elsa halbherzig und wie in Trance. »Mir geht’s wunderbar.« Ein Satz ohne einen Funken Wahrheitsgehalt.
     
    Ben ärgert sich nicht nur im Stillen. Er äußert seinen Unmut lautstark und gestenreich. Und er tut es in seinem Büro. Er schiebt einen Aktenstoß nach dem anderen hin und her. Ohne System dahinter. Er will einfach irgendwas tun. Nach den Akten ist sein Computer dran. Ben hackt auf den Tasten herum, dass man an einen Anschlag auf einen PC denken könnte. Doch dieses sinnlose Tippen hilft Ben nicht weiter. Er fühlt sich erschöpft, ohne zu wissen weshalb. Irgendetwas lähmt ihn. Macht sein Herz müde. Todmüde. Also müssen sämtliche Akten und der Rechner herhalten. »Dieser verflixte Fall geht mir auf die Eier«, wütet er. Als ginge es tatsächlich darum.
    Sein Kollege zieht die dünnen Augenbrauen näher zusammen und stößt die Luft aus den Lungen. Ben wundert sich seit Tagen, wieso der Kerl sich die Brauen zupft. Weil’s cooler, weniger nach Affe aussieht? Oder weil seine Frau es verlangt? Er ist noch nicht dahintergestiegen, ob an seiner Theorie tatsächlich was dran ist, oder ob er sich alles nur einbildet.
    »Die Slips bringen uns nicht weiter«, versucht Ben, die Schwierigkeiten zu fassen zu kriegen. Doch es macht ganz den Eindruck, er redet nur, um überhaupt irgendwas zu tun.
    »Wo nichts zu machen ist, ist nichts zu machen«, hört Ben die lapidare Entgegnung seines Kollegen, der die Lippen seines seltsam weiblichen Pfirsichmundes, kaum hat er den idiotischen Kommentar zum Besten gegeben, abrupt schließt.
    »Und die Fußabdrücke vor Veronikas Haus, die von Helga Kratzer, haben’s auch nicht gebracht. Ich hab mit Degenwald gesprochen. Er ist keinen Schritt weitergekommen, nachdem er mit ihr gesprochen hat.«
    »War vorherzusehen.«
    Ben würde seinem Kollegen die emotionslose Antwort am liebsten mit Gewalt zurück in die Kehle stopfen. »Verfluchte Scheiße. Ich hab was dagegen, wenn ich arbeitslos bin. Vielleicht haben wir was übersehen?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Menschenskinder, sei doch nicht so destruktiv.

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