Glutnester
will sich lieber nicht ausmalen, was und vor allem wie Marissa in einigen Jahren den Männern den Kopf verdreht und die Sporen gibt. Und was das Ganze mit ihr anstellen wird, schon gar nicht. Marissa tut so, als wenn die Mann-Frau-Geschichte ein Spiel wäre, das man perfekt beherrschen lernen könnte. Und das Sagenhafte daran war, man nahm es ihr ab. »Erschütternd«, entkommt es Elsa. Kaum ausgesprochen, weiß sie nicht, ob erschütternd ist, was Marissa ihr erzählt, oder vielmehr, dass sie selbst so wenig Ahnung von dem Gesagten hat und, was ihr noch nie so sehr wie in diesem Moment klar geworden ist, dass sie nichts davon je bei Männern angewandt hat. In der Vergangenheit nicht und jetzt auch nicht.
»Ich weiß, was du jetzt denkst. Du glaubst, ich bin echt abgefahren. Ein frühreifes Luder. Aber das stimmt nicht. Ich sprech bloß aus, was die anderen, die cleveren Tussis, später stillschweigend machen. Was ihr alle macht. Ob ihr nun vorher drüber nachdenkt, es in einer Illu lest, im Fernsehen anglotzt oder tut, weil’s euch ’ne Freundin gesteckt hat. Nur mir, mir liegt’s halt im Blut. Wo ist da der Unterschied? Glaub ja nicht, du könntest mich dafür verachten. Ich bin nur ehrlich. Aber das kann die Welt nun mal nicht ab. Ehrlichkeit. Aber egal wie und was, mir ist das scheißegal. Denk, was du willst. Und jetzt hau ab. Ich muss Hausaufgaben machen. Schließlich hab ich noch viel vor in diesem Leben. Und von dir lass ich mich bestimmt nicht davon abhalten, abzukassieren, was mir gehört.«
Elsa hebt abwehrend die Hände. »Keine Sorge, Marissa. Ich denke bloß: Wo hat die Kleine das nur her? Sonst nichts. Ich will nur, dass du mit dem, was du da referierst – in der Umsetzung sozusagen – später keine Probleme bekommst.«
»Spiel bei deiner Tochter Mama. Nicht bei mir. Servus. War ziemlich unspektakulär mit dir.«
Marissa ist aufgestanden und deutet mit den Augen nach unten, zur Tür. Der Hund vergräbt seinen Blick in Elsas Augen, als müsse er das Anliegen Marissas unterstützen. Elsa zögert nicht länger, verlässt das Jugendzimmer und steuert den Ausgang an.
Auf der Fahrt nach Traunstein packt Elsa eine unbändige Wut. Wie kann es sein, dass sie im Fall Gasteiger/Steffel nicht weiterkommt? Weder sie noch ihr Kollege Degenwald. Als Draufgabe hat sich Hörnchen seit einer Ewigkeit nicht mehr gemeldet. Es herrschte Flaute auf ganzer Linie.
Im Büro angekommen, brüht Elsa sich einen starken Kaffee auf, stibitzt eine Packung Schokokekse aus dem Schrank, trinkt, beißt in einen Keks und vergräbt sich in die ersten Protokolle, die Karl Degenwald erstellt hat, während sie in Köln mit den Auswüchsen ihrer Scheidung beschäftigt war.
Roland Gasteiger hatte ausgesagt, dass seine Ehe schlecht war, allerdings nicht schlechter als die meisten Ehen, die nach so langer Zeit noch bestanden. »Das macht Mut«, grummelt Elsa ironisch vor sich hin, greift nach dem nächsten Keks und forstet sich weiter durch den Papierdschungel.
Woher die Schmerzmittel für Veronika Steffel stammen, diese Frage kreist nicht wirklich durch ihr Gehirn. Die Frage, die ihr im Magen lag, war, woher das
Sevofluran kam. Ein Narkosemittel war in einer ländlichen Gegend wie dieser nicht leicht zu besorgen. Vor allem, wenn man verhindern wollte, dass das Abhandenkommen auffiel.
Elsa blättert Seite um Seite weiter, liest noch einmal, dass Helga Kratzer früher als Arzthelferin beschäftigt gewesen ist und auch heute noch hier und da in der Praxis des Veterinärs aushilft. »Beim Tierarzt wird regelmäßig mit Narkosemitteln gearbeitet. Fehlt nur noch, dass die eine integrierte Apotheke haben«, murmelt Elsa vor sich hin. Sie überprüft die Adresse des Veterinärs und stellt fest, dass im selben Gebäude eine Hautärztin ordiniert. Dr. Gertrude Kamp. Elsa greift zum Telefon und ruft den Veterinär an. Sie erfährt, dass ihr Kollege bereits alle in der Praxis arbeitenden Personen befragt hatte.
»Wo kaufen Sie eigentlich Ihre Medikamente ein? Vor allem die Narkosemittel?«, erkundigt sich Elsa.
»Bei der Gertrude Kamp«, antwortet die Sprechstundenhilfe, die eine Stimme wie ein Flötenkessel hat. Viel zu hoch und vor allem pfeifend.
»Vielen Dank. Damit ist mir bereits geholfen«, verabschiedet sich Elsa.
Bei ihrem nächsten Anruf trifft sie ins Schwarze. Ja natürlich, man führe eine Apotheke. Nein, es fehle kein Sevofluran.
»Haben Sie denn schon nachgesehen?«, erkundigt sich Elsa.
»Bei uns ist noch nie etwas
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