Glutnester
Fettflecken und Kleberänder kämpft, verliert die Angst zwar nicht ihren Schrecken, aber ihre lähmende Ausschließlichkeit. Es bleibt ein minimaler Raum fürs Nötigste übrig. Für dieses Fenster an Zeit und Gelegenheit ist Elsa dankbar. Sie hat sich noch nie mit so viel Elan in die Rolle der Hausfrau gestürzt wie an diesem frühen Abend. Und so schrubbt und räumt sie, sortiert aus und um, zieht Preisschilder von den Einkäufen, weil sie plötzlich findet, das mache sich optisch besser im Kühlschrank. Sie werkelt mit einer Vehemenz, die sie sonst nur im Büro an den Tag legt, bei der Arbeit. All das schützt sie davor, ihrer Tochter wegen in die Knie zu gehen. Vorläufig zumindest.
Was in einer halben Stunde sein wird, daran mag Elsa gar nicht denken. Je öfter sich der Zeiger der Uhr nach vorne bewegt, umso unruhiger wird sie. Elsa stopft die Einkaufstüten in eine Schublade, die für Krimskrams vorgesehen ist. Leere Gläser, Plastiktüten, Jutesäcke, Tupperware. Dann schaut sie sich um. Alles erledigt. Nichts mehr zu tun. Beim besten Willen nicht. Elsa starrt gegen das Fenster. Sie entdeckt Wasserflecke vom letzten Regen und will schon zur Essigflasche greifen, um sich die Fensterflächen vorzunehmen. Dann hält sie inne.
»Was treibst du da?«, fragt sie sich laut. Es ist, als wache sie aus einem schrecklichen Traum auf. Ein rascher Blick aufs Handy. Nichts. Noch nicht mal das kleinste Vibrieren. Eine widerstreitende innere Stimme beginnt zu sprechen. Sie muss Karl Degenwald anrufen. Anna muss als vermisst gemeldet werden. Oder ist es noch zu früh?
Elsa fasst sich an den Kopf und merkt, wie er zu zittern beginnt. Ein Bosheitsakt ihres Körpers, der sie mit einem Schüttelanfall wie Parkinson, einem Anfall, wie sie ihn noch nie erlebt hat, überrascht. Ihr ganzer Körper beginnt zu tanzen. Tanzt zitternd die Sekunden weiter. Ihr geht mehr und mehr die Kraft aus. Sie kann ihre rechte Hand kaum noch heben. Die linke hat sich indes selbstständig gemacht. Fährt durch die Luft. Zuerst nach links, dann nach rechts. Sie versucht, sie zu bändigen. Es misslingt. Sie hat keine Kontrolle mehr über diese Hand. Über die zweite bald genauso wenig wie über die erste. Was ist nur mit ihrem Körper los? Elsa spürt ihre verkrampften Kieferknochen. Sie hat Angst, in eine Art Schockzustand zu fallen. Sie muss Degenwald anrufen. Jetzt sofort. Sie kann nicht länger damit warten. Sie fühlt, wie sie dabei ist, die Kontrolle über sich zu verlieren. Um Himmels willen, das kann ich mir nicht leisten!, ist das Letzte, was Elsa denken kann. Dann wird alles schwarz um sie herum.
18. Kapitel
Michael Horn sitzt in seinem mickrigen kleinen Büro in der Rechtsmedizin, dessen Wände er mit Bierkrügen verschönert hat. Er empfindet, durch den Anblick der Bierkrüge hat er den Feierabend bereits vor Augen. Und wenn ihn mal der Ärger rankriegt oder – wegen all der Toten – eine kurze Depression im Anflug ist, die Krüge holen ihn auf den Boden seiner gewünschten Realität zurück und geben Hoffnung. Er braucht sie sich nur anzusehen, schon schmeckt er ein Frischgezapftes. Die helle, goldige Flüssigkeit rinnt ihm die Kehle hinunter und der Schaum verschönert seine Lippen.
Wie er so dasitzt, starrt Hörnchen in seinen PC. Er ist müde und aufgekratzt zugleich. Eine verhängnisvolle Kombination. Der Tag war anstrengend. Hat ihm das Letzte abverlangt. Karl Degenwald, Elsa Wegener und Ben Fürnkreis haben sich lange nicht bei ihm gemeldet. Darüber ist er froh. Er ist längst mit der nächsten Leiche betraut worden. Einem Mann aus München, der einem Schuss zum Opfer fiel. Anfang 30, über und über tätowiert, von zweifelhaftem Charakter, wie er gehört hat. Im einschlägigen Milieu zugange. Da lauert der Tod an allen Ecken und Enden. Ein Fall, den die Kollegen aus München schnell und vor allem problemlos aufklären wollen.
Das Land, Traunstein, muss warten, ist einer der häufigsten Sätze, die er seit zwei Tagen hört. Dabei geht ihm weder die Leiche Luise Gasteigers noch die Veronika Steffels aus dem Schädel. Traurigerweise, muss er zugeben. Denn ein Rechtsmediziner ist gescheit dran, wenn er seine Fälle so schnell wie möglich abgibt. Gedanklich auf Eis legt.
Was geradezu Irrsinn ist – die beiden Frauen, zwar tot, haben ihm wieder einmal klargemacht, dass er etwas unternehmen muss. Ben Fürnkreis hat den letzten Tropfen beigesteuert, der sein emotionales Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ben mit seiner
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