Glutnester
verbringen. Auf ihrer Couch, die ihm den Rücken ruinieren wird. Weil sie viel zu weich und vor allem zu kurz für ihn ist. Er ist ihr Sicherheitsdienst. Ihr Bodyguard. Und freut sich darauf, es zu sein. Er weiß, dass nichts an dieser Nacht besonders sein wird, außer seine weit abschweifenden Gedanken, wenn er den Stoff ihrer Garnitur unter sich spürt. Ihm reicht die Gewissheit, ihr nahe zu sein. Das ist mehr, als noch vor Kurzem zu erwarten gewesen wäre. Das Schicksal meint es also gut mit ihm. Wenn ihn der Mut packt, wird er in der Nacht leise aufstehen, seinen Rücken durchstrecken, den Schmerz im ersten Moment genießen, weil er ihn an sie erinnert. Er wird wie ein Geist die Holztreppe hinauftappen und ruhig vor ihrer Schlafzimmertür stehen bleiben. Sein Ohr wird sich sachte ans Holz legen und ihrem Atem lauschen. Ihrem wirklich gehörten oder ihrem vorgestellten. Zusätzlich wird er ihren Duft wahrnehmen, der im ganzen Haus verteilt ist. Er wird das Herb-Süßliche mit dem feinen orientalischen Unterton erschnuppern. »Wir werden den Abend miteinander verbringen«, ringt Degenwald sich ab und freut sich diebisch über den laut gehörten Satz, ehe er ein weiteres Mal klingelt. Diesmal mit Elan, ja, fast mit Gewalt.
Der Summer – es gibt tatsächlich einen – ertönt. Die Tür springt auf. Degenwald tritt in einen frisch ausgemalten Flur, dessen karge Schönheit nicht zu vermuten war. Frühlingsgrün springt ihm von den Wänden entgegen. Neue Briefkästen in Mattsilber in Reih und Glied. Als Abwechslung zum Grün. Er wundert sich kurz und geht die Travertintreppe an, die nicht zum Haus passen mag. Nimmt Stufe um Stufe und steht irgendwann einem Rotschopf von gewaltiger Größe gegenüber, der eine Wohnungstür bewacht.
»Gerd Speckbacher?«, grüßt Degenwald geradezu fröhlich.
Speckbacher nickt kaum merklich. »Und Sie sind?«
Degenwald zieht seinen Dienstausweis aus dem Jackett und hält ihn dem Journalisten vor die Nase. »Hauptkommissar Karl Degenwald. Kripo Traunstein.«
»Na endlich«, beeilt Speckbacher sich zu sagen und tritt beiseite, um den Weg freizumachen. »Sie kommen zu mir. Das ist gescheit. Ich hab’s bereits bei Ihnen, im Büro, versucht. Keine Chance, ein lebendes Abbild Ihrer Person vor die Pupille zu kriegen.«
»Dafür jetzt! Und sogar bester Laune«, meint Degenwald scherzhaft. Er tritt rasch ein und schaut sich um. Die Wohnung ist, wie vermutet, klein, aber nicht ungepflegt. Hellgelbe Wände. Dunkler Holzboden. Schwarz-Weiß-Fotos von Gebirgsmassiven einerseits und üppig blühenden Blumenwiesen andererseits rechts den Flur entlang. Im Wohnzimmer, in das Speckbacher ihn führt, eine gelbe Ledercouch, die zwar schon bessere Tage gesehen hat, aber noch okay ist, dazu ein Glastisch mit jeder Menge Fingerabdrücke drauf und einer geöffneten Bourbonflasche als Mittelpunkt. Jack Daniel’s. Aber kein Glas weit und breit.
»’Tschuldigung. Ich wollte mir gerade einen Willkommensdrink genehmigen, als es klingelte. Als Sie klingelten«, stellt Gerd Speckbacher richtig und deutet auf die Bourbonflasche. »Für Sie auch einen?« Speckbacher geht zu einem Glasschrank, der dem Fenster gegenüber platziert wurde, und holt zwei Gläser heraus. Mit einem davon winkt er Degenwald verführerisch zu.
Der nickt entschieden, als wolle er einem guten Schluck, wenn auch nur ausnahmsweise, zustimmen, sagt dann aber: »Geht leider nicht. Vorschrift.«
»Was frage ich auch.« Speckbacher tippt sich kurz mit der Hand gegen die Stirn, als träume er, wenn er so etwas fragt, stellt das für Degenwald vorgesehene Glas zurück in die Vitrine und deutet mit seinem auf die Couch. »Setzen Sie sich.« Die beiden Männer nehmen übereck Platz. Am unteren Ende des Zimmers entdeckt Degenwald ein fast leeres Bücherregal. Wohl noch vom Vormieter. Außerdem gibt das Zimmer einen schlichten Arbeitstisch und einen kleinen Schrank her, der aussieht, als stamme er von Ikea. Das Mobiliar ist vermutlich zur Gänze von Speckbachers Vorgänger übernommen worden. Alles wirkt halbwegs proper, aber zugleich leblos. Die Hülle einer Wohnung für die Hülle eines Menschen, mutmaßt Degenwald und nimmt sich vor, diese psychologische Feinsinnigkeit mit Elsa durchzusprechen.
»Sie sind also der Sohn von Veronika Steffel«, beginnt Degenwald den offiziellen Teil des Gesprächs.
»Bin ich! Und, glauben Sie’s mir oder lassen Sie’s, ich bin froh, wenigstens das zu wissen«, erwidert Speckbacher, der zwar das Glas auf den
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