Glutnester
Zäpfchen im Hals. Sie hält den Brei mit Mühe zurück. Nicht mehr lange, dann wird sie sich übergeben. Sie würgt und schluckt und kann ihm nicht antworten, obwohl er ihr den Knebel aus dem Mund genommen hat. Gleich wird er ihre Hand nehmen und sie auf sich legen. Oder sie zwingen, noch viel Schlimmeres zu tun.
»Wenn du über das hier redest, sag ich, dass du es selbst wolltest und mir mein Geld abgenommen hast.«
Er wühlt in seiner Geldbörse, findet einige Scheine und steckt sie in ihre Hose. Verdammt, damit kommt er nie durch. Man wird ihr glauben, was sie sagt. Nämlich, dass er ein ekliger Mädchenverschlinger ist. Dass er sie nie gefragt und schließlich gezwungen hat, ihm ihren Slip zu geben.
Nadine sieht, wie sein Penis größer und größer wird. Seine Augen verziehen sich. Er stöhnt leise gegen das Rufen der Vögel an. Jetzt packt er ihre Hand. Er führt sie zu sich hin, zu dieser pulsierenden Schlange. Nadine fährt ihre Füße aus, gräbt ihre nackten Zehen in die weiche Erde neben der Decke. Sie rappelt sich mit letzter Kraft auf und stößt ihn, weil ihm die Hose im Kniegelenk hängt, um. Beide verlieren sie das Gleichgewicht. Sie fängt sich als Erste, rappelt sich auf und läuft drauflos. Sie rennt ins Dunkel. In die tiefste Finsternis. Egal, wohin. Nur weg von ihm. Wenn sie irgendwo einsinken und untergehen wird, ist das immer noch besser, als bei diesem Dreckskerl zu verkommen. Sie hechelt und weint, während ihre Füße einen Weg suchen. Sie grunzt und atmet den letzten Sauerstoff, den sie zu erhaschen glaubt, in ihre Lungen. Er schreit ihr hinterher. »Bleib stehen!« Schreit wie ein Irrer, den man versehentlich freigelassen hat. Nadine rennt weiter. An den Birken vorbei. An den Gräsern entlang. Schlägt Haken wie ein Hase, damit er ihr nicht beikommt. Sie weiß nicht, wie lange sie rennt. Hat jedes Zeitgefühl verloren. Sie kommt an eine Straße. Die Scheinwerfer eines Autos rasen näher. Sie stolpert auf die Fahrbahn. Der Wagen bremst gewaltig. Sie hört das Quietschen der Reifen. Es ist das schönste Geräusch seit Langem. Dann spürt sie einen heftigen, kalten Stoß. Die Füße und ihre Knie schrammen über den rauen Asphalt. Sie hört es knacken. Jetzt brechen ihre Knochen. Sie merkt, wie das Blut warm aus ihrem Körper tritt, und beginnt erneut zu weinen. Egal, denkt sie. Egal! Er ist nicht mehr über mir. Er ist fort. Jetzt hat sie ein Auto als Schutz über sich. Und wenn sie sich alle Knochen dabei bricht – weg von ihm zu sein, ist alles, was sie will.
Elsa, die sich alte Lederhandschuhe übergestreift hat, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, sucht die Fenster des Gasteiger-Hofs ab. Sie muss nicht lange suchen. Das Küchenfenster scheint nicht richtig verschlossen zu sein, gibt nach einem kräftigen Ruck nach und springt mit leisem Geräusch auf.
»Sie wollen doch nicht etwa bei Nacht und Nebel hier einbrechen?« Degenwald, der sich die ganze Zeit über zurückgehalten hat, spricht endlich. Seine Stimme hat eine enorme Schärfe angenommen und auch seine Körperhaltung drückt strikte Ablehnung aus.
»In Anbetracht der Lage, dass niemand zu Hause ist und es um Missbrauch gehen könnte und außerdem das Warten auf einen Durchsuchungsbefehl gewöhnlich einige Zeit in Anspruch nimmt, ja, ich will«, entgegnet Elsa mit einem hastigen Blick auf ihren Kollegen. Sie zögert nicht lange und zieht sich mit einem Klimmzug aufs Fensterbrett hinauf. Bevor sie jedoch mit einem Sprung ins Haus verschwindet, hält Degenwald sie mit einer Hand energisch zurück.
»Diese Missbrauchssache ist lediglich eine Vermutung«, greift er ein.
»Genau, und zwar eine schreckliche. Ich will mir später nicht vorwerfen lassen, nichts unternommen zu haben.«
Degenwalds Blick lockert sich kaum merklich, hält Elsa, genau wie seine Hand, noch immer gefangen. »Jetzt überlegen Sie doch mal in Ruhe. Sie können schließlich nicht alle Richtlinien ignorieren, an die wir uns zu halten haben. Die da wären: Artikel 13 des deutschen Grundgesetzes über die Unverletzlichkeit der Wohnung.«
»Die Wohnung bleibt intakt.«
»Wir haben keine erneute Anordnung einer Durchsuchung durch den zuständigen Ermittlungsrichter …«, beginnt Degenwald und lenkt plötzlich ein. »Menschlich gesehen haben Sie völlig recht, verstehen Sie mich bitte richtig. Als Privatperson bin ich auf Ihrer Seite. Aber als Jurist und Kripo-Beamter muss ich darauf hinweisen …«
Elsas Augen funkeln Degenwald an. Sie hockt noch
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