Glutnester
privaten Erlebnisse verarbeitet haben, kommt die Elsa hervor, die Sie wirklich sind. Die, mit der Sie sich wohlfühlen und die mich unlängst um Nachsicht gebeten hat.«
»Wer sagt denn, dass ich mich schlecht mit mir fühle?«, muckt Elsa ein letztes Mal auf.
»Jeder Blick von Ihnen schreit es hinaus. Und jede Geste«, entgegnet Degenwald. »Aber egal, wie lange es dauert. Ich mag Sie. Sie beide. Die eine und die andere Elsa.«
Elsa schluckt, weil sie so gerührt ist. Dann scheint sie nachzudenken, nickt und gibt nach. »In Ordnung. Wir fangen im Stall an.« Sie streckt ihren Oberkörper, ächzt dabei und lässt sich von Degenwald den kurzen Weg über den Hof führen. Über sein liebevolles Statement will sie kein Wort verlieren. Sie weiß nicht, was sie darauf sagen soll.
Vorm Stall angekommen, öffnet Degenwald leise das Tor. Drinnen empfängt ihn – zumindest aufs erste Hinspüren – eine warme, mollige Atmosphäre. Er zückt eine Taschenlampe, die er immer dabeihat, knipst sie an und leuchtet Elsa damit den Weg aus.
»Ich mache so schnell ich kann«, verspricht Elsa einsichtig. »Und im Fall der Fälle nehm ich immer noch alles auf meine Kappe.«
Degenwald weiß nicht, weshalb, aber er nimmt ihr jedes Wort ab. Und auch wenn er ihre Vorgehensweise oft genug nicht gutheißt, bewundert er sie für die Konsequenz, ihren Mut und die Gedanken, aus denen heraus sie viele Risiken eingeht.
»Wir sind mehr als ein Rädchen im Getriebe des Lebens. Das ist ein Satz, der mir immer wieder Hoffnung gibt, wenn ich kurz davor bin, aufzugeben«, flüstert Elsa zwischen Kühen, Stroh, Mist und jeder Menge Gerätschaften.
»Ja, das sind wir«, entgegnet Degenwald mit Bewunderung in der Stimme. Er weiß längst, dass Elsa jede Menge Potenzial hat. Solches, das sie zurzeit nicht ausschöpft. Oder zumindest nicht auf die richtige Art und Weise.
»Wir sind zu komplexen Gedankengängen und intuitiven Sprüngen fähig.«
»Ich bin dafür, dass wir uns jetzt dem Stall widmen«, kürzt Degenwald Elsas Gedanken ab. »Dann haben wir es erstens hinter uns und zweitens scheinen Sie Stallgerüche in letzter Zeit sowieso äußerst anziehend zu finden, und so kommen Sie zumindest rasch auf Ihre Kosten«, zieht er Elsa auf. Sie stehen, für seinen Geschmack, bereits viel zu lange inmitten der warmen, bitteren Ausdünstungen der Kühe. Hören Kauen und Wiederkäuen und riechen den Geruch von Urin und Kot.
»Kuhpisse. Erkenne ich inzwischen unter sämtlichen Geräuschen und Gerüchen wieder.« Elsa nimmt Degenwald die Taschenlampe ab, holt weit aus und schreitet auf eine Holzkiste zu, die am anderen Ende des Stalls in einer Ecke steht.
Dort angekommen, versucht sie, den Deckel der Kiste zu öffnen. Bis sie das Schloss an der Seite entdeckt. »Abgesperrt«, klärt sie Degenwald auf, nachdem sie sich zu ihm umgedreht hat.
Der zuckt mit den Schultern. »Das muss nichts heißen«, findet er.
»Wenn etwas abgeschlossen ist, will ich erst recht hineinschauen«, bleibt Elsa hartnäckig. Sie steckt sich die Taschenlampe in den Mund und schnappt sich die nächstbeste Mistgabel. Sie setzt an und hört es leise krachen. »Na also!«, sagt sie zufrieden. Sie nimmt die Taschenlampe aus dem Mund und öffnet die Kiste. Mit ihrem ganzen Körper beugt sie sich über die Öffnung. Lugt hinein. Im Kegel des Lichts sieht sie, womit sie unter keinen Umständen gerechnet hat. Die aufgeschlagene Seite eines Buches. Sie nimmt das Buch an sich, hält den Lichtstrahl drauf und überfliegt die ersten Zeilen. Während sie liest, dreht sie sich nach Karl Degenwald um, der immer noch am Eingang steht und sich nicht entschließen kann, näherzukommen.
»Das sollten Sie sich ansehen«, verlangt Elsa ernsthaft und schaut ihn an.
Mit wenigen kraftvollen Schritten ist er bei ihr, senkt den Kopf und schaut auf Elsas Finger im Buch. »Da steht Veronika Steffels Tod beschrieben. Zuerst Schlaftabletten, dann ein Narkosemittel. Und dann, mit ein wenig Glück, der Tod.«
Degenwald sieht zutiefst betroffen drein, als er den Umschlag des Buches betrachtet. »Mordmethoden!«, liest er leise vor. »Fragt sich, ob das tatsächlich irgendwas mit dem Tod an der Veronika zu tun hat. Es könnte auch bedeuten, dass jemand neugierig war und sich über verschiedene Todesarten schlaumachen wollte.«
»Das glauben Sie doch selbst nicht. Der Gnadl Sepp war fast die ganze Zeit dabei, als Hörnchen und wir uns an der Veronika zu schaffen gemacht haben.«
»Mag sein«, bleibt Degenwald
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