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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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schockiert. Auch hier gibt es leer stehende Häuser, zerschlagene Fensterscheiben und Schutthaufen, aber die Gebäude sehen anders aus als jene, die ich kenne. Viele sind sogar aus Holz, nur vereinzelt sind sie so hoch wie in der Stadt. Wir fahren sogar an einem Park vorbei, in dem es grüne wilde Pflanzen gibt, nicht nur die Blumenkübel, die die Obersten in unseren Park gestellt haben, um das Bild aufzulockern. Ich sehe sogar Bäume - echte Bäume mit grünen Blättern! Im Park in der Stadt gibt es nur verkrüppelte, die nicht halb so viele Blätter tragen wie diese hier.
    Wir fahren immer weiter und weiter. Allmählich beschleicht mich das Gefühl, dass die Welt viel größer ist, als ich angenommen habe. Wo ist denn bloß die Zentrale? Ich habe immer geglaubt, sie befände sich in entgegen gesetzter Richtung auf der anderen Seite des East River. Mich beschleichen Zweifel, dass wir den richtigen Weg fahren. Auch Neal rutscht nervös auf seinem Platz hin und her. Auf seiner Stirn glänzt eine Schweißperle.
    »Wo sind wir hier?«, fragt er in die Stille hinein.
    Cade knurrt. Das scheint er oft zu tun. »Weehawken, New Jersey«, murmelt er.
    »Wo soll das sein?« Neals Stimme klingt jetzt wieder fester. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er ungehalten ist. Er wippt mit dem Fuß auf und ab. »Die Zentrale befindet sich auf der anderen Seite des Flusses. Ich habe mir gleich gedacht, dass wir hier falsch sind.«
    Als Cade nicht antwortet, fängt Neal an, an dem kleinen silbernen Hebel in der Tür herumzuziehen, aber die Tür bleibt verschlossen. Langsam erweitert sich mein Unbehagen in echte Angst.
    »Können wir bitte anhalten?«, fragt Neal mit Nachdruck.
    Cade bremst den Wagen ab. Wir halten am Straßenrand. Erst glaube ich, er wäre Neals Wunsch nachgekommen, aber Cade macht keine Anstalten, die Türen freizugeben. Er öffnet ein Fach vor dem freien Sitz neben sich. Eine Klappe springt auf. Er zieht etwas heraus und dreht sich langsam zu uns um. Es ist eine Pistole, schwarz und glänzend. Die Polizei der Obersten benutzen sie, um uns Angst zu machen. Man kann jemanden damit töten, aber gesehen habe ich das noch nie. Das würden die V23er auch nie tun. Der Lauf von Cades Waffe zuckt zwischen mir und Neal hin und her.
    »Hört zu, ihr beiden«, sagt er. Die stoische Ruhe in seinem Tonfall jagt mir einen Schauder über den Rücken. Weshalb zielt er mit der Waffe auf uns? Wir haben nichts verbrochen.
    »Ich bin kein Oberster und ich habe auch nicht vor, euch in irgendeine Zentrale zu bringen.«
    Mir rutscht das Herz in die Hose, als er das sagt. Wie kann das sein? Es gibt nur zwei Arten von Menschen - Einwohner und Oberste. Und Cade gehört eindeutig nicht zu den normalen Bürgern. Er hat ein Mal und kann Auto fahren. Er lügt uns an.
    »Es wird niemandem etwas passieren, wenn ihr euch kooperativ zeigt und einfach mit mir kommt. Aber bitte - verschont mich mit blöden Fragen! Das ist keine Spazierfahrt.«
    Cades orangebraune Augen fixieren mich. Mit einem Mal sehen sie nicht mehr so freundlich aus wie zuvor. Zum ersten Mal fällt mir auf, wie hart seine Gesichtszüge sein können.
    »Wohin bringen Sie uns dann, wenn nicht in die Zentrale? Es gibt sonst nichts auf der Welt.« Ich wundere mich über meinen Mut, aber mit einem Mal kann ich wieder klar denken.
    Cade schnaubt. Die Waffe hält er noch immer auf uns gerichtet. »Ihr seid dumm und einfältig. Die Welt ist nicht hinter eurer Barriere zu Ende. Ich werde nicht mit euch darüber diskutieren. Wir fahren jetzt in
meine
Zentrale, da werdet ihr ein paar nette Leute kennenlernen und mir hoffentlich keinen Ärger bereiten. Ich habe heute schlechte Laune. Gestern hat man mich um meine Drogen betrogen. Mit irgendetwas in der Hand muss ich schließlich zurückkehren.«
    Etwas an seinem Tonfall verrät mir, dass die Leute, die wir angeblich bald kennenlernen, entgegen seiner Behauptung nicht nett sein werden.
    »Ich verlange, zurück nach Hause gebracht zu werden!« Es ist der Mut einer Verzweifelten, der aus mir herausspricht.
    Cade lacht, sagt aber nichts mehr. Er legt die Waffe in seinen Schoß, wendet sich wieder nach vorne und schickt sich gerade an weiterzufahren, als Neal sich wutschnaubend vom Rücksitz aus auf ihn stürzen will. Er versucht, Cades Hals zu umfassen, aber der undurchsichtige Kerl reagiert blitzschnell. Schneller, als ich es je bei einem Menschen gesehen habe. Er umfasst Neals Handgelenk und reißt seinen Arm ruckartig nach unten, sodass es

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