Glutroter Mond
an.«
Beinahe hätte ich mich an meinem Brot verschluckt und laut aufgelacht. Was erzählt er denn da? Er hat viele Leben auf dem Gewissen, erst gestern hat er mehrere Oberste erschossen. Er sagt, es hätte sich eine Veränderung bei ihm eingestellt - aber eine so drastische?
In Ermangelung einer Antwort ziehe ich nur erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.
Cade schüttelt den Kopf, wobei seine strubbeligen schwarzen Haare um sein Gesicht fliegen. »Nein, natürlich bin ich kein Weltverbesserer geworden. Was ich damit eigentlich sagen wollte: Ich muss zurück zur Sippe, damit ich die Maschine benutzen kann. Ich kann es nicht verantworten, bei jeder Nahrungsaufnahme Menschen zu verschwenden.«
Ich habe irgendwie den Eindruck, dass er sich herausreden will, um seine eigene Männlichkeit nicht zu untergraben. Glaubt er, er müsse vor mir den harten Kerl spielen?
»Hast du gerade wieder jemanden getötet?« Ich frage das mit einer Selbstverständlichkeit, die mich selbst schockiert.
»Ja. Und nur, damit wir uns nicht falsch verstehen: Mir geht es einzig um die nachhaltige Nutzung von Ressourcen.«
Weshalb glaube ich ihm das bloß nicht? Ich merke, wie sich ein verstohlenes Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet. Er kann mir nichts vormachen. Er hat ein schlechtes Gewissen. Ist das etwa verwerflich?
Ich schlucke den letzten Bissen Brot herunter, den ich in mich rein bekomme. Ich bin pappsatt. Zum ersten Mal seit vielen Tagen. »Was ist mit der Platine? Ich dachte, die Maschine sei kaputt.«
Cade betrachtet eingehend seine Fingernägel. Ein bisschen zu eingehend, um nicht nach Nervosität auszusehen. »Ich habe jemanden aus meiner Sippe in der Stadt getroffen. Die Platine ist wieder dort, wo sie hingehört. Und dein Kumpel ist auch wieder im Quartier.«
Mein Herz setzt für einen Schlag aus. Neal ist wieder bei den Acrai? Wie kann das sein?
»Wie bitte?« Ich schaffe es überhaupt nicht, meine Verblüffung in Worte zu fassen. Hätte ich nicht bereits gesessen, wären mir vermutlich die Beine unter dem Körper weggeknickt. Sie fühlen sich plötzlich weich an wie Gummi.
Cade sieht mich an, das Schuldbewusstsein steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Mich haben die Neuigkeiten auch überrascht. Ich habe Vince versprochen, noch heute zurückzukommen. Erst wollte ich es dir gar nicht erzählen, aber ich möchte dich nicht anlügen.«
Ein Schlag ins Gesicht hätte nicht schmerzhafter sein können. »Und dann sitzen wir noch hier herum?« Meine Stimme kippt vor Empörung. Mich hält nichts mehr auf dem Boden. Trotz der Gummibeine springe ich auf. Mein weißes Unterhemd und das knappe Höschen verdecken gerade eben meine Blöße. Cades Augen weiten sich unmerklich, sein Mund steht ein wenig offen, als er meine Bewegungen mit Blicken verfolgt.
»Steh schon auf, wir müssen Neal da herausholen! Ich kann ihn doch nicht wieder in dem Loch versauern lassen, in das ihr ihn gesteckt hat. Was, wenn er schon tot ist? Wenn sie sich wie hungrige Bestien auf ihn gestürzt haben?« Die Fantasie geht mit mir durch. Ich hatte mich gerade schmerzlich an den Gedanken gewöhnt, Neal für immer an die Obersten verloren zu haben. Jetzt ist er für mich wieder erreichbar. Erreichbar mit Cades Hilfe ...
Doch Cade macht keine Anstalten, sich zu erheben. Er räuspert sich und sieht zu Boden. »Dein Anzug ist noch nass. Und in Unterwäsche nehme ich dich nicht mit. Obwohl du ein hübsches Bild abgibst.«
Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen,
aber meine Wut gilt gar nicht wirklich ihm, sondern eher dem Umstand, dass er recht hat. Ich kann nicht in Unterwäsche durch die Gegend laufen.
»Und wie sieht dein Plan stattdessen aus?« Ich verschränke die Arme vor der Brust. Vermutlich sehe ich wenig überzeugend aus, obwohl ich mir Mühe gebe, ihn finster anzusehen. Ein dürres zartes Mädchen im weißen Unterhemd gegen einen Riesen in schwarzer Lederkleidung - ich male mir keine großen Chancen aus, meinen Willen durchzusetzen. Cade könnte mir mit einem Handgriff das Genick brechen, und bis gestern hätte er das ohne zu Zögern auch getan, das darf ich nicht vergessen.
»Ich habe nicht vor, dich mit zurück nach Weehawken zu nehmen.«
Und da ist er - der zweite Schlag ins Gesicht. Mir klappt die Kinnlade herunter, ohne, dass ich etwas dagegen hätte tun können.
»Soll ich etwa hier bleiben, während mein Freund bei euch versauert? Spinnst du?« Ich rede jetzt so laut, dass meine Stimme von den hohen Wänden der Halle
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