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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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und wehen ihr um die Ohren, aber ihre Augen leuchten und ihr Gesicht hätte man durchaus als hübsch bezeichnen können. Der Mann, der links neben ihr sitzt, hat kinnlanges dunkles Haar. Unter dem ausgeleierten T-Shirt kann man einige Muskelpakete erahnen. Er würde dennoch keine ernste Gefahr für uns darstellen.
    »Ist das nicht wunderbar? Für jeden einen.« Vinces Augen funkeln bösartig. Obwohl ... Ich glaube nicht einmal, dass er wirklich bösartig ist. Dazu müsste man ein Empfinden für Recht und Unrecht haben. Er ist einfach ein Raubtier, das es als sein natürliches Recht betrachtet, auf die Jagd zu gehen. Was ich ihm allerdings schon immer übel genommen habe, ist sein Hang, seine Opfer zu quälen, bevor er sie tötet. Das wiederum könnte man gut und gerne als bösartig bezeichnen.
    Mit einem Seufzen lege ich das Brot neben mir auf den Boden. Wie gerne wäre ich auf direktem Weg zu Holly zurück gegangen! Sie wartet seit Stunden auf mich. Vielleicht hat sie unser Versteck in der alten Lagerhalle auch längst verlassen, weil sie nicht mehr an meine Rückkehr glaubt. Ich ärgere mich darüber. Weshalb musste Vince mir ausgerechnet hier und jetzt über den Weg laufen? Andererseits bin ich froh, dass sich das Problem mit der Maschine erledigt hat, auch, wenn ich daraus nicht recht schlau werde. Ich werde beizeiten darüber nachdenken.
    Vince pirscht sich an das Pärchen heran. Inzwischen hat die Frau ihren Kopf auf die Schulter ihres Begleiters gelegt. Ihre Augen sind geschlossen. Vince beschreibt einen weiten Bogen, um nicht gesehen zu werden und sich von hinten heranzuschleichen. Ich gehe ihm nach. Ich verdränge das aufkeimende schlechte Gewissen in mir. Eigentlich habe ich keinen Hunger. Aber weshalb jetzt damit anfangen, den Moralapostel zu spielen, wo ich mich seit Jahrhunderten viel schlimmeren Verbrechen strafbar gemacht habe? Im Gegensatz zu den anderen Acrai habe
ich
nämlich mehr als dreißig Lebensjahre auf dem Buckel und noch wesentlich mehr vor der Brust.
    Vince und ich sprechen uns wortlos ab. Er beansprucht die Frau für sich. Meinetwegen. Bleibt für mich der Muskelprotz. Ich habe keine Angst vor ihm, er wird in meinem Griff genauso wehrlos sein wie ein Kind.
    Auf leisen Sohlen nähern wir uns von hinten. Unsere Opfer schöpfen keinen Verdacht. Sie ahnen nicht, dass außer ihnen noch jemand auf dem Pier sein könnte. Dass den Acrai keinerlei Körpergeruch anhaftet, weil wir weder schwitzen noch duschen, entpuppt sich immer wieder als großer Vorteil bei der Jagd. Mir hingegen steigt schon auf eine Distanz von zwei bis drei Yards der Geruch menschlicher Haut in die Nase. Was mich früher angezogen hat, stößt mich jetzt ab. Ich verspüre keinerlei Lust, dem animalischen Drängen meines Hungers, der seit zwei Tagen seltsamerweise nachgelassen hat, freien Lauf zu lassen.
    Beinahe gleichzeitig stürzen Vince und ich uns auf unsere Opfer. Sie sind so überrascht, dass sie zunächst nicht einmal einen Laut ausstoßen. Vince zerrt die Frau von ihrem Begleiter und vom Ufer weg. Wir können nicht riskieren, ins Wasser zu fallen. Das hätte unseren Tod bedeuten können.
    Ich lege einen Arm um den Hals des Mannes, nehme ihn in den Würgegriff und schleife ihn ebenfalls nach hinten. Seine nackten Füße strampeln, er öffnet den Mund, um zu schreien, aber ich drücke seine Kehle zu. Ich möchte nicht, dass er erstickt, deshalb nehme ich ein wenig Druck von seinem Hals. Er würgt und keucht, schreit aber noch immer nicht. Mit seinen Armen greift er hinter sich und versucht mich zu packen, aber er bekommt nur Luft zu fassen. Er ist stark, ja, aber er hat mir nichts an Kraft entgegenzusetzen. Von oben sehe ich auf sein Gesicht hinab. Seine stahlblauen Augen sind weit aufgerissen, feine Äderchen durchziehen das Weiße darin. Mit der anderen Hand packe ich mir seinen Arm und fixiere ihn hinter seinem Rücken. Ich höre es in seinem Schultergelenk knacken. Inzwischen strampelt er nicht mehr. Ich werfe einen kurzen Seitenblick auf Vince. Die Frau liegt bereits schlaff in seinen Armen, seine Fingerspitzen ruhen auf ihren Schläfen. Vince hat die Augen geschlossen, völlig versunken in den Akt der Nahrungsaufnahme. Zum Glück hat er sie nicht lange gequält. Ich bin froh, dass ich mir dieses Schauspiel heute nicht ansehen musste.
    Ich wende mich wieder meinem eigenen Opfer zu. Mein Blick versinkt in seinem, ich kann spüren, wie seine Muskeln sich entspannen. Der Hypnose eines Acrai bei der Nahrungsaufnahme

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