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Gnade

Gnade

Titel: Gnade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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sprach.«

    Johan nickte und sagte: »Ach, das haben Sie gemeint! Jetzt verstehe ich.«
    Mai stand im Hintergrund und sah zu. Johan fand, dass es so aussah, als wollte sie nicht, dass ihr etwas entging, damit sie es bei einer späteren Gelegenheit im Detail wiedergeben könnte.
    Â 
    Die Ursache, ja. Die Ursache dafür, dass Vater und Sohn acht Jahre nicht miteinander gesprochen hatten, war unklar. Andreas hatte darum gebeten, Johans und Mais Ferienhaus in Värmland benutzen zu dürfen, und Johan hatte gesagt, dass es ihnen um diese Zeit nicht passte, was Andreas zur Kenntnis genommen hatte. Sie hatten ein paar Wochen später zusammen zu Abend gegessen, friedlich und einträchtig. Das mit dem Haus war kaum erwähnt worden, fast nur in einem Nebensatz, und alles war ungewöhnlich nett verlaufen. Später am Abend hatte Johan zu Mai gesagt, dass er gerne mehr Zeit mit seinem Sohn verbringen würde. Einen Monat nach dem Abendessen erhielt Johan von Andreas einen Brief. In diesem Brief stellte Andreas klar, dass er seinen Vater ebenso sehr verachtete, wie der Vater ihn immer schon verachtet hatte. Dass er nicht einmal das Ferienhaus seines Vaters benutzen durfte, sei nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe.
    Johan schüttelte den Kopf. Der Brief verletzte ihn, aber er verstand ihn nicht. Das Ferienhaus wurde
wegen eines Wasserschadens renoviert. Das hatte er doch gesagt. Nicht, dass er überhaupt eine Erklärung abgeben musste. Sein Sohn war erwachsen, es war also keine Selbstverständlichkeit, dass er jederzeit das Ferienhaus benutzen und Gott weiß was in Johans und Mais privatester Umgebung, inmitten ihrer höchst persönlichen Besitztümer anstellen konnte. Ja, aber ein Wasserschaden. Das musste doch sogar Andreas verstehen.
    Ein paar Tage nachdem er den Brief erhalten hatte, bat er Mai, Andreas anzurufen. Sie war in solchen Dingen geschickter als er, meinte er.
    Zu Mai sagte der Sohn: »Begreift Papa denn nicht, dass ich ihn aus meinem Leben gestrichen habe? Er existiert für mich nicht mehr.«
    Doch jetzt saß er hier. Schmächtig wie sein Vater, aber mit dem Gesicht der Mutter. Und mit einer – jeden Moment – gebärenden Freundin. Johan wollte die Freundin fragen, ob auch sie die Erzählungen von Marcel Bavian gelesen hatte. Ha ha ha. Aber er ließ es bleiben. Versuchte vielmehr zu lächeln, auch wenn ihm die Anstrengung Schmerzen bescherte. Nicht die Heuchelei als solche. Sie war nicht die Ursache seiner Schmerzen. Es war die Bewegung. Die Lippen, die Augen, die Wangen, alles in einem Gesicht, was sich bewegen musste, um ein einigermaßen glaubwürdiges Lächeln zustande zu bringen. Und der Kopf. Der Druck, der nicht nachließ. Der Druck, der nur noch
schlimmer wurde, weil sie hier waren. Der Druck, der sich bei genauerem Hinspüren in psalmodierende Einsilbler verwandelte, schert-euch-raus-es-nütztnichts-ich-kann-nicht-mehr-ich-will-dass-ihr-jetzt-geht-geht-geht.
    Â»Ja, jetzt sitzen wir also hier«, sagte Andreas. »Wie geht es dir, Papa?«
    Â»Es geht auf und ab«, sagte Johan und versuchte das mühsam erzeugte Lächeln aufrechtzuerhalten. Sein Gesicht drohte zu zerfallen, zu zerspringen, zu zerreißen, aufzugehen, wie das Geschwür auf seiner Wange. Es würden garantiert bald Dinge aus ihm herauslaufen. Er fummelte vorsichtig an der Morphiumspritze herum. Alle sahen es, aber es wurde nicht kommentiert.
    Â»Acht Jahre«, sagte Johan.
    Â»Ja«, sagte Andreas.
    Die beiden Frauen, Mai und Ellen, saßen schweigend dabei und hörten zu.
    Â»Acht Jahre«, sagte Johan noch einmal.
    Â»Aber jetzt bist du krank«, sagte der Sohn aufrichtig,
    Â»und damit ändern sich die Dinge schließlich.«
    Johan wollte fragen, was sich eigentlich änderte. War es so, dass der Sohn gekommen war, um ihm zu vergeben? Dann hätte er es lassen können. Versöhnung, hatte Mai gesagt. Nicht Vergebung. Johan hatte nichts getan, was vergeben werden müsste.
    Johan wandte sich Andreas zu.

    Â»Es war ein Wasserschaden!«
    Der Sohn sah ihn verständnislos an.
    Â»Was?«
    Â»Es war ein Wasserschaden.«
    Â»Ich verstehe nicht ...«
    Â»Das Ferienhaus. Du wolltest es benutzen. Und ich habe nein gesagt, weil es aufgrund eines Wasserschadens renoviert wurde. Irgendetwas an den Rohren im Bad. Eine Überschwemmung.«
    Andreas sah zu Boden.
    Â»Ach

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