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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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würde zu spät bei Willow sein.
    »Paula und ich brauchen eine kleine Auszeit.«
    »Eine Auszeit?« Coles Magen krampfte sich zusammen. Er wünschte sich, sein Vater würde das Licht einschalten.
    »Sie hat die Kinder mitgenommen und … ähem …« Offenbar konnte sein Vater den Satz nicht beenden. Kevin starrte auf seine Hände, die mit gespreizten Fingern auf der Schreibtischunterlage ruhten. »Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wo sie gerade ist.«
    »Was ist mit deinem Auge passiert?«
    Kevin berührte sich im Gesicht.
    »Oh«, sagte er. Nun klebte das Blut an seinen Fingern. »Ich habe mir am Küchenschrank den Kopf gestoßen.«
    Cole war sprachlos. Ganz offensichtlich log sein Vater ihn an. Er erinnerte sich, was seine Mutter zu ihm gesagt hatte, kurz bevor er für mehrere Wochen zu Kevin gefahren war. Ich weiß, wie sehr du deinen Dad liebst, und es freut mich, dass du Zeit mit ihm verbringen wirst. Aber vergiss nicht: Es ist nicht alles Gold, was glänzt … Ja ja, Mom. Bis bald!
    Er war beim Abschied nicht einmal traurig gewesen. Ehrlich gesagt hatte er sich nicht einmal nach ihr umgedreht. Sie war zu streng, sie war paranoid und lag ihm ständig in den Ohren wegen der Hausaufgaben und wegen des schlechten Umgangs, den er ihrer Ansicht nach pflegte. Als sie einmal einen Joint bei ihm fand, fürchtete er, sie würde einen Herzinfarkt erleiden. Später hatte er anhand des Verlaufs ihres Browsers gesehen, dass sie sich nach Sommercamps für Schwererziehbare erkundigt hatte. Er hatte sich darauf gefreut, sie für eine Weile los zu sein und bei Kevin zu wohnen. Cole hatte seinen Vater für unendlich clever und cool und reich gehalten. Ganz anders als seine Mutter, die sich und ihren Sohn kaum ernähren konnte.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Cole.
    Kevin atmete erschöpft aus und versuchte zu lächeln.
    »Tut mir leid, mein Junge«, sagte er. »Ich hatte mir deinen Besuch wirklich anders vorgestellt.«
    Vor dem Sommer hatte sein Vater ihm alle möglichen Versprechungen gemacht. Aber letztendlich war Kevin meistens schon aus dem Haus, wenn Cole aufstand, und oft kam er erst spät zurück. Einmal hatten sie Golf gespielt. Und einmal hatte Kevin Cole und die Kleinen zum Strand gefahren. Er hatte den ganzen Nachmittag telefoniert, während Cole sich um seine Geschwister kümmerte. Und seit die Schule wieder angefangen hatte, sah er seinen Vater kaum noch.
    »Ist schon gut, Dad. Mach dir darüber keine Gedanken.«
    Cole wollte nach Paula fragen, aber sein Bauchgefühl warnte ihn davor. Kevins Handy fing an zu klingeln. Er warf einen Blick aufs Display und rümpfte die Nase, so als rieche es plötzlich schlecht.
    »Ich muss da rangehen, okay?«, sagte er, nahm den Anruf an und starrte auf die Schreibtischunterlage. »Hey, Greg. Was kann ich für Sie tun? … Ich weiß. Ich weiß … Sie bekommen es morgen.«
    Cole stand auf und ging zur Tür. Er blieb unschlüssig stehen. Sollte er gehen? Am liebsten hätte er das Licht eingeschaltet, damit Kevin nicht im trüben Schein des Computermonitors herumsaß. Es war so trostlos. Aber nach einer Weile schloss Cole einfach die Tür hinter sich.
    Er ging in Camerons Zimmer und setzte sich aufs Bett. Er betrachtete die Bücherregale, die Berge von Spielzeug. Dann ließ er sich auf das Bett sinken, die Bettwäsche war mit Sternen und Planeten bedruckt und roch nach Johnson’s Babyshampoo.
    Cole erinnerte sich, wie er Willow angelogen und ihr erzählt hatte, seine Mutter sei im Irak. Er wusste selbst nicht, was er sich dabei gedacht hatte. Was für eine dumme Lüge. Wenn er sie zu Hause besuchte, müsste er die Lüge wiederholen. Er müsste ihr vormachen, dass alles in Ordnung war und er sein Leben unter Kontrolle hatte. Er konnte ihr ja schlecht gestehen, dass er krank vor Sorge um seine Mutter war. Und nun waren auch noch Paula, Claire und Cameron verschwunden. Irgendetwas stimmte überhaupt nicht. Aber Cole wusste nicht, was er unternehmen sollte. Er hatte nicht gedacht, dass es so kräftezehrend sein konnte, ständig traurig zu sein. Das war sein letzter Gedanke, bevor er einnickte.
    Er kam nicht. Nicht um vier. Auch nicht um fünf. Um Viertel nach verließ Willow ihren Platz am Fenster und fläzte sich vor den Fernseher. Ihre Mutter bereitete in der Küche das Abendessen vor.
    In gewisser Hinsicht war Willow nicht einmal überrascht. Sie fragte sich, ob sie sich alles nur eingebildet hatte – dass er an ihrem Spind aufgetaucht war, dass ihr Herz einen Hüpfer gemacht hatte.

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