Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
Vom Netzwerk:
unvoreingenommener Mensch zu sein, sodass er sich ernstlich um eine Antwort bemühte.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich war immer zur falschen Zeit am falschen Ort.«
    Er hatte es geschafft, auf dem Weg hierher alle Gedanken an Marla Holt zu verdrängen. Nach dem Telefonat mit Bethany hatte er beschlossen, sich von den kosmischen Kräften, die sein Lebensglück sabotierten, nicht länger dazwischenpfuschen zu lassen. Er mochte Bethany Graves, und es schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Auf keinen Fall würde er zu Hause versauern, um sich den Kopf über Marla Holt und seinen Anteil an ihrem Schicksal zu zerbrechen. Wozu sollte das jetzt noch gut sein?
    Dann, während der Fahrt, hatte er im Radio gehört, dass die Rechtsmediziner die im Wald gefundenen Knochen tatsächlich Marla Holt zuordnen konnten. Sie hatte dort die ganze Zeit im Wald gelegen. Selbst diese Information hatte er verdrängt. Er würde sich später damit befassen.
    »Waren Sie jemals verliebt?«, fragte Bethany.
    Er hatte zu viel getrunken, was in seinem Fall mehr als zwei Gläser Wein waren. Er war beim dritten und fühlte sich warm und behaglich. Bethanys gerötete Wangen verrieten ihm, dass es ihr ebenso erging. Seit Willow nach oben verschwunden war, hatten sie einander berührt. Er hatte es gewagt, sanft über ihren Arm zu streichen. Als sie von ihrem ersten Mann erzählte, der so jung verunglückt war und sie mit einem Kleinkind zurückgelassen hatte, hatte er seine Finger mit Bethanys verschränkt. Sie waren vom Esstisch auf das Sofa im Wohnzimmer umgezogen, und mittlerweile hatte sich Henrys Verlangen, sie zu küssen, zu einem körperlichen Schmerz gesteigert. Die Luft knisterte.
    »Ja«, sagte er, »ich war schon mal verliebt.«
    Sie runzelte die Stirn, legte eine Hand an seine Wange.
    »Dafür sehen Sie jetzt aber ganz schön traurig aus«, sagte sie.
    Lag es an diesem Satz? Oder an ihrer zärtlichen Art, an ihrer Offenherzigkeit? Auf einmal kam alles hoch, was er unterdrückt hatte.
    »Nein«, sagte er.
    Aus Willows Zimmer kam Musik, die, kaum verwunderlich, an aggressiven Lärm erinnerte. Henry sah sich im Wohnzimmer um – hohe Bücherregale, Flachbildfernseher, warmes, indirektes Licht. Sie saßen auf dem weichen Sofa dicht beieinander, ihr Oberschenkel berührte seinen. Am liebsten hätte er sich diesem Ort, diesem Moment mit ihr ganz hingegeben. Wären da nur nicht diese Gedanken.
    »Erzählen Sie«, sagte Bethany, »wirklich. Nun, da Miss Willow auf dem Kriegspfad ist, bleibt uns sowieso nichts anderes übrig, als uns zu unterhalten.«
    Sie lächelte breit. Sie wollte alles über seine unglückliche, unerwiderte Liebe hören, dass er verlassen worden war oder dass man in der Kleinstadt nur schwerlich jemanden kennenlernte. Was man eben in solch einer Situation sagt.
    »Haben Sie von den Knochen gehört?«, fragte er. »Die Knochen im Wald.«
    Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, so als falle ihr etwas ein, das sie verstörte. Da erinnerte er sich. Eigentlich war Willow diejenige, die die Polizei auf die richtige Spur gebracht hatte. Hätte Willow an jenem Tag nicht die Schule geschwänzt, wäre sie nicht durch den Wald gelaufen und nie Michael Holt begegnet. Sie hätte ihre Freunde nicht auf die Lichtung mit der Kapelle geführt, und Jones Cooper und Henry hätten sich nicht dort umgesehen. Wenn Jones Cooper nicht dort herumgeschnüffelt und die Polizei verständigt hätte, hätte die Knochen außer Michael niemand gefunden. Henry fand diesen Zufall beinahe komisch, trotz der hämmernden Kopfschmerzen hinter seinen Augen.
    »Knochen?«, fragte sie. »Was für Knochen?«
    Er konnte es kaum fassen. Marla und Bethany. Michael und Willow. Es musste sich um einen kosmischen Scherz handeln. Er saß neben dieser intelligenten, wunderschönen Frau und entwickelte zum ersten Mal seit Jahren romantische Gefühle. Aber weil sich das Kind von Bethany Graves und das Kind von Marla Holt über den Weg gelaufen waren, war es ihm unmöglich, sie zu küssen, ihr Komplimente zu machen und ihr zu sagen, wie sehr er ihre Gesellschaft genoss. Es reichte jetzt. Nicht einmal das war ihm vergönnt.
    »Die Polizei hat neben der Kapelle Knochen ausgegraben«, sagte er.
    Bethany schnappte nach Luft.
    »Dort, wo Willow war?«
    Er nickte, und Bethany runzelte die Stirn. Und dann erzählte Henry ihr alles.

ZWEIUNDDREISSIG
    R ay kam vom Regen durchweicht und missgelaunt von draußen herein. Eloise nahm ihm die Jacke ab und hängte sie in der Waschküche

Weitere Kostenlose Bücher