Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
dir gut. Und Amanda auch.«
»Ray.«
Er umarmte und drückte sie fest und war im nächsten Moment an der Tür. Sie überlegte noch, ihn zu bitten, sie zu begleiten, aber er war schon hinaus, bevor sie den Gedanken in Worte kleiden konnte.
»Hast du es gehört?«, fragte Jolie. »Das mit den Knochen?«
Jolie saß vorn auf dem Beifahrersitz. Im Auto stank es nach kaltem Zigarettenrauch. Er hatte sich in den Polstern festgesetzt, kribbelte in Willows Nase und bereitete ihr Kopfschmerzen. Jolie zündete sich eine neue Zigarette an und ließ den Qualm durch die Nasenlöcher ausströmen.
»Mach das Fenster einen Spaltbreit auf«, sagte Cole. Sie verdrehte die Augen, gehorchte aber. Willow schaute zu, wie der Qualm in einem dünnen Streifen zum Fenster hinauszog.
»Was für Knochen?«, fragte sie. Da war es schon wieder – sie fühlte die altbekannte Reue. Sie breitete sich in ihrer Magengrube aus. Sie sah, dass Cole sie im Rückspiegel beobachtete, obwohl er sie, seit sie aus dem Haus geschlüpft war, kaum beachtet hatte. Sie hatte ihn nicht gefragt, warum er sie versetzt hatte; diese Genugtuung wollte sie ihm nicht gönnen.
»Im Wald, neben der Kapelle«, sagte Jolie und zog ihr Gruselgeschichten-Gesicht. Ihre weit aufgerissenen Augen blitzten schadenfroh, fast bedrohlich. »Da, wo du diesen Spinner Michael Holt beim Graben erwischt hast. Da hat man Menschenknochen gefunden.«
Willow wurde neugierig.
»Ja, das hat er meiner Mom auch erzählt.«
»Nein«, widersprach Jolie, »es sind die Knochen seiner Mutter. Alle haben geglaubt, sie wäre vor Ewigkeiten mit einem anderen durchgebrannt. Und jetzt kommt raus, dass sie ermordet wurde.«
Cole hielt neben der Straße, und Willow bemerkte, dass sie wieder bei diesem schrecklichen Friedhof waren. Oh, nein. Was ist mit mir los? Warum gerate ich immer wieder in so eine Lage?
»Was wollen wir hier?«, fragte sie.
»Willst du nicht sehen, wo er gegraben hat?«
»Nein«, sagte Willow.
»Er ist immer noch da draußen«, sagte Jolie. »Er ist weggelaufen, als sie die Knochen entdeckt haben. Man sagt, er hat sich in einer Mine versteckt, und lebt jetzt da unten.«
»Ja, so wie die Tunnelmenschen«, erklärte Cole. »Hast du je von denen gehört? Die wohnen in den stillgelegten U-Bahntunneln von New York City.«
»Das ist ein Gerücht«, sagte Willow, obwohl sie wusste, dass sie Unrecht hatte. Sie klang unabsichtlich gereizt. Sie konnte es nicht leiden, wenn sich Leute, die noch nie in New York gelebt hatten, mit ihrem Wissen brüsteten. Cole starrte sie im Rückspiegel an, aber sie zwang sich, Jolie anzusehen.
»Du willst nicht mitkommen?«, fragte Jolie scheinbar ungläubig.
»Als wir das letzte Mal dort waren, hast du geglaubt, ich hätte euch angelogen«, sagte Willow. »Du hast mir nicht geglaubt.«
»Tja, dann glaube ich dir jetzt.«
Cole drehte sich zu Willow um. Im Dämmerlicht wirkte sein Gesicht kreidebleich. Unter seinen Augen waren dunkle Schatten. Wenn sie ihn nicht so gehasst hätte, hätte sie gefragt, ob alles in Ordnung sei. Aber sie hasste ihn, ein kleines bisschen zumindest. Die Regentropfen trommelten aufs Autodach. Die Grabsteine waren kaum zu erkennen. Wer kam auf die Idee, im strömenden Regen durch den dunklen Wald zu stolpern, wenn da draußen irgendwo ein verrückter Mörder lauerte? Willow stellte Jolie die Frage laut, und Cole fing an zu lachen.
»Genau das habe ich auch gesagt«, meinte er.
Jolie schmollte.
»Das ist das Problem in dieser Stadt. Alle sind so öde, öde, öde. Wo ist euer Sinn für Abenteuer?«
Willow bemerkte, dass ihr eigentlich vollkommen egal war, was Jolie über sie dachte. Die ganze Idee war idiotisch. Sie war einfach nur dumm. Außerdem war Willow gemein zu ihrer Mutter gewesen, und nun saß sie hier bei diesem Wetter mit den anderen im Auto. Sie war schon wieder abgehauen, hatte ihre Mom schon wieder enttäuscht. Sie hatte ihr Handy nicht eingesteckt. Wenn Bethany ihr Verschwinden bemerkte – und das würde nicht mehr lange dauern – würde sie sich schreckliche Sorgen machen.
»Diese Kinder haben niemand«, hatte ihre Mutter gesagt, »der sich um sie kümmert. Du findest das cool, aber du irrst dich. Es ist einfach nur traurig.« Da begriff Willow, was ihre Mutter gemeint hatte. Vermutlich war es nun zu spät. Bethany würde ihr niemals vergeben. Willow sah Cole im Rückspiegel an.
»Kannst du mich bitte nach Hause fahren?«, fragte sie.
»Was?«, rief Jolie. Ihre Stimme klang schrill, ihre Augen
Weitere Kostenlose Bücher