Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
herzlichen Dank«, sagte er, »Sie wissen ja gar nicht, wie sehr Sie mir geholfen haben. Sie haben mir das Leben gerettet.«
Im Flur war es still, abgesehen von einem Fernseher, der in irgendeinem der Zimmer zu laut gestellt war. Es brachte ihn jedes Mal auf die Palme, wenn Leute zu laut fernsahen oder den Sitz im Flugzeug so weit wie möglich nach hinten kippten. Oder wenn sie durch eine Schwingtür gingen und nicht darauf achteten, ob hinter ihnen noch jemand kam. Was war mit diesen Leuten nur los? Rücksichtslosigkeit war zur Volkskrankheit geworden.
Sicher hatte sie das Zimmer von innen verriegelt, aber Kevin hatte auf YouTube gesehen, wie sich eine Türkette mit Hilfe eines Gummibandes öffnen ließ. Es gab ein Werkzeug, das einer Brechstange ähnelte und mit dem man mühelos einen Metallriegel aufbrechen konnte. Auch das hatte er dabei. Er hatte es in der Garage selbst angefertigt.
Er würde die Oberhand haben. Vor Claire und Cameron würde sie ihm nichts antun. Falls sie die Polizei rief, würde er behaupten, sie habe die Kinder entführt und sei depressiv und er sei in Sorge, sie könne sich und den Kleinen etwas antun. Sie würde hysterisch werden, was ihn um so glaubwürdiger erscheinen ließe. Jeder glaubte Kevin Carr. Natürlich ging es ihm nicht um die Kinder, die waren ein echter Klotz am Bein. Aber er würde alles tun, um Paula einen ordentlichen Denkzettel zu verpassen.
Er blieb vor der Tür stehen, legte das Ohr ans kühle Holz und hörte nichts. Er legte Reisetasche und Blumenstrauß ab und zog die Schlüsselkarte heraus.
»Junge, was tun Sie da?«
Kevin kannte den Mann am Ende des Flurs nicht.
»Wie bitte?«
»Ich habe gesagt: Junge, was tun Sie da?«
»Ich denke, das geht Sie nichts an.«
Der Mann schmunzelte.
»Das sehe ich anders.«
Kevin hob beide Hände.
»Hier muss ein Missverständnis vorliegen.«
»Das glaube ich kaum«, sagte der Mann und kam langsam auf Kevin zu. »Hände hoch, und halten Sie sie so, dass ich sie sehen kann.«
Offenbar verstand der Mann keinen Spaß. Er ließ sich nicht manipulieren oder überreden. Keine Eitelkeit, der man schmeicheln, keine Illusionen, die man nähren konnte. Dieser Mann schaute hinter die Maske. Kevin hasste solche Menschen. Der Mann war unbewaffnet. War er Polizist? War das Geräusch in der Ferne eine Polizeisirene? Kevins Herz fing an zu rasen. Er wich von der Tür zurück.
»Mein Name ist Jones Cooper. Sie wollten doch, dass ich Ihre Frau finde? Tja, ich habe sie gefunden.«
Kevin brauchte einen Moment, um den Namen einzuordnen. Er hatte den Kerl selbst angerufen. Das Ganze erschien ihm so lange her, dass er es schon vergessen hatte.
»Hören Sie«, sagte Kevin und hob den Rosenstrauß vom Boden auf. »Danke für Ihre Hilfe, aber Paula und ich haben uns versöhnt.«
»Nein«, sagte Jones und verzog das Gesicht zu einem abfälligen Lächeln. »Nein, das stimmt nicht.«
Die Sirene wurde lauter und das Auto blieb offenbar direkt vor dem Hotel stehen. Die Zimmertür öffnete sich, und Paula erschien im Türrahmen.
»Diese Frau hat meine Kinder entführt!«, sagte Kevin. Er hob die Stimme: »Ich will meine Kinder zurückholen. Sie leidet unter einer postnatalen Depression. Ich habe große Angst um sie und um unsere Kinder.«
Paula starrte ihn an.
»Du Lügner.«
»Wo sind meine Kinder?«, schrie er. Er schaffte es sogar, sich ein paar Tränen abzuringen. Am Ende des Flurs ging eine Tür auf, und ein Mann mit zerzaustem Haar steckte kurz den Kopf durch den Spalt und verschwand wieder.
»Sie sind in Sicherheit«, sagte Paula. Ihre Stimme war sanft, klang fast wie ein Flüstern. »Ich habe einen Anwalt.«
Er warf ihr einen flehentlichen Blick zu, aber sie blieb eiskalt.
»Ich habe nichts Verbotenes getan«, jammerte Kevin und drehte sich zu Jones um. »Sie dürfen nicht einfach so die Polizei rufen.«
»Du hast mich mit einer Waffe bedroht«, sagte Paula. »Ich hatte Angst um mein Leben und bin geflohen. Und nun hast du mich bis hierher verfolgt.«
Offenbar hatte sie inzwischen einen Berater, der ihr einflüsterte, was sie sagen sollte. Seit die Kinder auf der Welt waren, hatte sie immerzu einen verwirrten, zerstreuten Eindruck gemacht. Jetzt wirkte sie ganz anders, fast so wie bei ihrer ersten Begegnung.
»Das ist gelogen«, sagte Kevin, » sie hat eine Waffe.«
»Du hast eine Affäre. Ich kann es beweisen«, fuhr Paula fort, als hätte er nichts gesagt. »Ich habe deine Mails an deine Freundin ausgedruckt. Du hast lauter
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